Der Apostelbrief

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Danken - wofür?

Autor

Eine Frauenstimme meldete sich am anderen Ende der Leitung: „Zahlen Sie gerne Steuern?“ Natürlich spekulierte die Mitarbeiterin des Callcenters darauf, dass ich „nein“ sagen würde und sie dann ihr ganzes Skript abarbeiten könnte, um mir ein Buch, eine Software oder einen Beratungsvertrag zu verkaufen. Ein klares „ja, natürlich“ war allerdings als Antwort nicht vorgesehen – das Gespräch war zu Ende, bevor es richtig angefangen hatte.

Aber mal im Ernst: wenn man sich seine Gehaltsabrechnung ansieht und den Unterschied zwischen Brutto und Netto betrachtet, wird man von den unterschiedlichsten Gefühlen erfasst. Aber Freude und Dankbarkeit werden wohl kaum dabei sein.

Dabei wäre durchaus Grund für Dankbarkeit. Nicht für die Steuern an sich, aber für den Arbeitsplatz, ohne den man keine Steuern bezahlen würde. Oder für die Höhe des Gehalts, die sich in einem hohen Steuersatz bemerkbar macht.

Wer sich darüber ärgert, dass er sein Auto nur noch am äußersten Rand des Parkplatzes abstellen kann, könnte auch dankbar dafür sein, dass er oder sie es sich leisten kann, ein Auto zu besitzen und zu fahren.

Mehrfach ermahnt der Apostel Paulus die Gemeinden in seinen Briefen zur Dankbarkeit. Im ersten Brief an die Tesssalonicher schreibt er sogar: „Seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch“ (1. Thess. 5,18).

Ist dieser Vers nicht eine Zumutung für alle Kranken, Einsamen, oder für Menschen, die gerade einen Schicksalsschlag erfahren haben? Er ist es, wenn man in so einer Situation zum ersten Mal über diese Forderung von Paulus nachdenkt.

Aber wenn man sich nicht gerade in einer Extremsituation des Lebens befindet, ist es durchaus interessant, im eigenen Lebenslauf nach den Gründen für Dankbarkeit zu suchen. Statt sich über den Regen aufzuregen, könnte man dankbar dafür sein, dass Dürren in unseren Landstrichen nicht auf der Tagesordnung stehen. Wenn das Wasser allerdings erst mal im eigenen Keller steht, ist das mit der Dankbarkeit so eine Sache.

Letztendlich ist die Frage nach der Dankbarkeit die Frage nach unserer Sicht auf die Welt. Die wenigsten Dinge, Menschen und Situationen, die uns begegnen, sind eindeutig gut oder schlecht für uns. Dankbar zu sein, heißt die guten Seiten zu suchen und zu finden. Für Christen heißt es auch, Gottes Wirken in unserem Leben zu entdecken. Dankbare Menschen sind auch zufriedenere Menschen. Was gibt es schöneres, als zufrieden zu sein, mit sich, der Welt und Gott im Reinen zu sein? Es geht wohlgemerkt nicht darum, die Augen vor den dunklen Seiten des Lebens zu verschließen, sondern darum, die hellen Seiten überhaupt wahrzunehmen.

-pv-