Der Apostelbrief

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Das Reformationsjahr aus katholischer Sicht

Gastbeitrag von Reinhard Kies, Mitglied des Pfarrgemeinderats

Autor

In den Jahren 1559 – 1563 wurde Gerbrunn evangelisch. Während dieser Jahre gab es einen lebhaften Briefwechsel zwischen dem Würzburger Bischof und dem Grafen Georg von Castell. Der Graf forderte unter Berufung auf den Augsburger Religionsfrieden (1555) die Einsetzung eines protestantischen Pfarrers in Gerbrunn, das Domkapitel leistete Widerstand. Der Graf setzte sich durch, Gerbrunn nahm die neue Lehre an, in lutherischen Gottesdiensten wurden Predigten in deutscher Sprache gehalten. Man liest davon, dass die „protestantischen Gerbrunner mit ihrem Los ganz zufrieden waren“ (G. Palitza).

1625 änderte sich wieder alles. Der Bischof von Würzburg kaufte das Dorf von den Castellern zurück, Gerbrunn wurde wieder katholisch, und zwar ziemlich total. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs die kleine Schar der Protestanten an, im Jahr 1966 wurde am Apostelweg ein „Montagegemeindehaus“ errichtet, darin eine kleine Kirche, die erste Apostelkirche.

Weshalb diese lokalhistorischen Erinnerungen?

Alles, was es in diesen zurückliegenden Jahrhunderten an evangelischem Leben in Gerbrunn gab – Predigt, Bibelauslegung, Gebet, Gesang, Liturgie, Seelsorge, Armenhilfe – , hat seinen Anfang in der Reformation vor 500 Jahren. Mögen auch zwei Jahrhunderte lang keine lutherischen Bürger in Gerbrunn gewohnt haben, war die Gemeinde auch in der übrigen Zeit sehr klein und eher mittellos -, das evangelische Bekenntnis ist ein Teil der Geschichte Gerbrunns.

Die heute Verantwortlichen der Apostelkirche sehen sich in dieser Tradition und Kontinuität. In einer bemerkenswerten Veranstaltungsreihe haben sie und ihre Gemeinde sich in den vergangenen Monaten mit der Geschichte und den Inhalten des evangelischen Glaubens auseinandergesetzt. Vier „Reformationsabende“ fanden statt. Die bewusst ökumenisch ausgerichteten Themen waren zugleich eine Einladung an uns Katholiken, sich gemeinsam mit den evangelischen Christen zu fragen, welche Bedeutung die Reformation vor 500 Jahren hatte, welche sie heute noch hat. Wir wollten auch wissen, welche tiefen und unübersehbaren Spuren Impulse der Reformation im katholischen Denken und Glauben hinterlassen haben. Wir sahen ein, dass das konstruktive Miteinander – bei allem unterschiedlichen Verständnis von Kirche, Amt und Eucharistie – das entscheidende Erbe der Reformation ist.

Herausgefordert durch die Pluralisierung und Säkularisierung der heutigen Gesellschaft sollen sich die christlichen Kirchen nicht durch Zersplitterung selber schwächen, so der Wunsch der Gesprächsteilnehmer.

Theologen und Kirchenvorstände der Apostelkirche gestalteten die Abende, ein eindrucksvolles Zeugnis für das „allgemeine Priestertum der Gläubigen“.

Zu Beginn wurde der historische Rahmen abgesteckt, in dem das weltverändernde Ereignis der Reformation stattfand. Ein zweiter, theologischer Abend befasste sich mit der Rechtfertigungslehre. Im ökumenischen Reformationsgottesdienst im schwedischen Lund (2016) sagte dazu Papst Franziskus : „ Mit dem Grundsatz ́Allein aus Gnade ́ werden wir daran erinnert, dass Gott immer die Initiative ergreift und jeder menschlichen Antwort zuvorkommt, und zugleich, dass er versucht, diese Antwort auszulösen. Daher bringt die Rechtfertigungslehre das Wesen des menschlichen Daseins vor Gott zum Ausdruck“.

Ein schöner, durchaus unterhaltsamer Abend widmete sich den Folgen der Reformation für die (Kirchen-)Musik. Sangen vor der Reformation die Mönche im Chorraum der Kirchen lateinische Choräle, war es Luthers Wunsch, die Idee von der Priesterschaft der Gläubigen zu verwirklichen und die ganze Gemeinde aktiv am Gottesdienst zu beteiligen. So wurde das Singen in der Landessprache ein fester Bestandteil der lutherischen Gottesdienste. Luther liebte die Musik, eine ganze Reihe von Kirchenliedern stammt von ihm selbst.

Höhepunkt und Abschluss war am 19.10.2017 der vierte Reformationsabend : Der gebürtige Gerbrunner Dr. Oliver Schuegraf (Hannover), Oberkirchenrat und zuständig für ökumenische Grundsatzfragen in der Vereinigten Lutherischen Kirche Deutschlands, sprach zum Thema: „2017 gemeinsam unterwegs. Vom Konflikt zur Gemeinschaft“. Er überforderte seine Zuhörer nicht mit schwierigen kontroverstheologischen Fragen, stellte nicht das (noch) Kirchentrennende in den Mittelpunkt seines Vortrags, ihm ging es um das, was in der Ökumene (schon) erreicht ist. Und das ist sehr viel! Schuegraf machte Mut, auf dem begonnenen Weg entschlossen weiterzugehen. Er schlug vor, Reformation so zu sehen: Selbstkritisch die gegenseitigen Verfehlungen aneinander bekennen, die gemeinsame Freude am Evangelium dankbar zum Ausdruck bringen, die frohe Botschaft von Jesus Christus feiern und gemeinsam für die Einheit beten.

Reformationsabend

Im Hinblick auf das Reformationsjubiläum meinte Schuegraf: Die „fruchtbare Suche nach (...) gegenseitigem Verstehen“ sei unternommen worden. Das ökumenisch begangene Reformationsjahr sei zu einem „Christuszeugnis aneinander und in der Öffentlichkeit“ geworden. Sein Wunsch: „Katholiken und Lutheraner sollen immer von der Perspektive der Einheit und nicht von der Perspektive der Spaltung ausgehen, um das zu stärken, was sie gemeinsam haben, auch wenn es viel leichter ist, die Unterschiede zu sehen(...)“.

Dieser Sichtweise fühlt sich auch der Gerbrunner Chor Concino verbunden, der – in nahezu voller Besetzung – diesem Abend einen festlichen, beschwingten Rahmen gab. Katholische und Evangelische können eben gemeinsam (noch) besser singen, Martin Luther hätte sicherlich gern beim Tenor oder Bass mitgemacht.

Die evangelischen Christen von Gerbrunn haben mit den Reformationsabenden gezeigt, was ihnen – wie ihren Vorfahren – ihr Glaube bedeutet, wieviel er ihnen wert ist. Wir Katholiken durften daran teilnehmen und sind dankbar dafür.

Die Christen Gerbrunns sind der Einheit der Kirche einen Schritt nähergekommen. Ihr gemeinsames Bekenntnis zu Gott ist in der säkularen Gesellschaft glaubwürdiger geworden.

Reinhard Kies
7.11.2017

Reformationsabend