Der Apostelbrief

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Zweite Chance

Autor

An diesem Tag wollte er nichts dem Zufall überlassen. Drei Wecker hatte er gestellt und in verschiedenen Räumen der Wohnung aufgestellt, damit er nur ja nicht verschläft. Die Kleidung für diesen Tag hatte er schon am Abend vorher bereitgelegt. Hemd, Hose, Sakko, Krawatte – alles aufeinander abgestimmt. Bei diesem Bewerbungsgespräch durfte nichts schiefgehen. Denn - für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance.

Diese Erfahrung hat wohl jede und jeder von uns schon gemacht. Man lernt einen Menschen kennen und weiß schon nach Sekunden, dass man diese Person nicht mag. Dabei war es vielleicht gar keine Unhöflichkeit, beim ersten Treffen so wenig zu sprechen, sondern nur heftige Zahnschmerzen.

Besonders heikel ist das mit der zweiten Chance, wenn Menschen uns verletzt, ungerecht behandelt, übervorteilt, oder belogen haben. Das ist nur zu verständlich, denn diese Erfahrung möchte man schließlich kein zweites Mal machen. Aber was, wenn genau dieser Mensch uns darum bittet, ihm noch eine zweite Chance zu geben und wenn er oder sie sich für das begangene Unrecht entschuldigt? Soll man dem Lügner glauben, der Betrügerin vertrauen?

Im Vater Unser beten wir „und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. Wenn wir von Gott Vergebung dafür erbitten, wo wir schuldig geworden sind, wenn wir ihn um eine zweite oder dritte oder hundertste Chance bitten, ist es dann nicht nur recht und billig, den Menschen, die uns gegenüber schuldig geworden sind, zu vergeben, das heißt auch ihnen eine zweite oder dritte oder hundertste Chance zu geben?

Im Matthäusevangelium wird berichtet, dass Simon Petrus Jesus einmal fragte, wie oft man einem „Bruder, der an einem gesündigt hat“, vergeben soll. „Siebzigmal siebenmal“ ist die Antwort. Das heißt aber nicht, dass die 491. Sünde nicht vergeben werden soll. In der Sprache der Bibel heißt das einfach „immer und immer wieder“.

Und dann erzählt Jesus ein Gleichnis von einem Grundherrn, der seinen Pächtern große Schulden erlässt. Aber einer der begnadigten Pächter treibt danach selber unbarmherzig eine kleine Schuld von einem anderen Menschen ein. Als der Grundherr das erfährt, lässt er auch von dem Pächter die ursprünglichen Schulden gnadenlos eintreiben.

Dass wir den Menschen eine zweite Chance geben, die an uns schuldig werden, ist keine Voraussetzung dafür, dass Gott uns immer wieder eine neue Chance gibt, wenn wir an ihm schuldig werden. Im Gleichnis ist es ja auch zuerst der Grundherr, der seinen Pächtern die Schulden erlässt.

Eben weil wir selber erfahren haben, dass uns vergeben wurde, und streng genommen nur deshalb, können wir überhaupt unseren Mitmenschen vergeben. Und dann gibt es eben doch eine zweite Chance für den ersten Eindruck.

-pv-