Der Apostelbrief

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„tillsammans“ – Gemeinsam Kirche gestalten
Von der Kraft der Zusammenarbeit in der Schwedischen Kirche

tillsammans

Stellen Sie sich vor, Sie gehen am Sonntag in den Gottesdienst. Am Eingang werden Sie freundlich von zwei ehrenamtlichen Helfern begrüßt, die Ihnen das Gesangbuch austeilen. Am Flügel in der Kirche sitzt schon die Kirchenmusikerin bereit, daneben stehen der Pfarrer und eine Diakonin und besprechen ein letztes Mal den Ablauf des Gottesdienstes. Die ersten Reihen sind schon voll besetzt. Die Kirchenmusikerin hat ihren Chor mitgebracht. Dieser Chor ist einer von vier Chören, die sie leitet, neben einer Jugend- und einer Erwachsenenband. Etwas weiter hinten in den Stuhlreihen erkennen Sie die Gemeindepädagogin mit drei ehrenamtlichen Mitarbeitenden sowie einer Schar Kinder, die sich nach dem Eingangsgebet in den Nebenraum aufmachen werden, um dort Kindergottesdienst zu feiern. Im hinteren Teil der Kirche entdecken Sie den festangestellten Mesner sowie seinen Kollegen, der sich um die Technik kümmert und gerade am Mischpult der Kirche die Mikros des Pfarrers und der Diakonin einstellt. Bis zum Beginn des Gottesdienstes sind die Reihen gut gefüllt. Wie fast jeden Sonntag. Der Gottesdienst ist feierlich, die Musik beschwingt, die Predigt stimmt nachdenklich und gibt gleichzeitig Hoffnung. Der Chor singt sehr gut, die Gemeinde auch. Das Ende des Gottesdienstes wird eingeläutet, indem aus der kircheneigenen Küche schon langsam der Kaffeegeruch den der Kerzen überdeckt. Nach dem Gottesdienst gibt es in der Kirche noch Kaffee und Gebäck. Drei Ehrenamtliche haben sich darum gekümmert. Die letzten Bankreihen der Kirche wurden vor einiger Zeit herausgenommen und durch runde Tische mit Stühlen ersetzt. Sie gesellen sich zu den vielen Gottesdienstbesuchern, die sich noch ein Weilchen miteinander unterhalten. Über die Musik und die Predigt, über das Wetter und ihre Pläne für die nächste Woche. Der Pfarrer, die Diakonin, die Kirchenmusikerin und auch die Gemeindepädagogin mit den Kindern gesellen sich dazu. Neben den Tischen und Stühlen für den Kirchenkaffee gibt es auch eine Spielecke für Kinder im hinteren Teil der Kirche. Viele Erwachsene nutzen die Gelegenheit für ein persönliches Gespräch mit den Mitarbeitenden der Kirche. Nach einer Weile gehen Sie zufrieden nach Hause. Ums Aufräumen kümmern sich die Hauptamtlichen.

Wann haben Sie zuletzt einen Gottesdienst erlebt, an dem so viele Menschen beteiligt waren und der so abwechslungsreich gestaltet wurde? Vielleicht an den großen Festtagen wie Weihnachten oder Ostern? Vielleicht aber noch nicht einmal da. Je nach dem, wie groß die Gemeinde ist, in der Sie den Gottesdienst besucht haben.

In dem kleinen Städtchen Tidaholm, das zwischen den beiden großen Seen Vänern und Vättern in Schweden liegt, findet ein Gottesdienst dieser Art tatsächlich jeden Sonntag statt. Wie ist das möglich?

Im Jahr 2000 beschloss die Evangelisch-Lutherische Svenska Kyrkan (Schwedische Kirche) ihren Status als Staatskirche aufzugeben. Bis dahin war jeder Schwede qua Geburt automatisch Mitglied der Schwedischen Kirche. Heute ist es so, wie wir es kennen, man wird durch die Taufe Mitglied der Kirche. Die Schwedische Kirche entschloss sich 2000 zu diesem Schritt, da die Austrittszahlen immer weiter nach oben gingen und der Anteil der Menschen ohne eine Religion oder mit einer anderen Religion stetig wuchs. Im Prozess der Umwandlung von einer Staatskirche zur Volkskirche fand auch ein landesweiter Strukturprozess statt. Die Kirche wollte sich insgesamt verändern und den neuen Herausforderungen stellen, und die hießen in erster Linie weniger Kirchenmitglieder und damit weniger finanzielle Mittel.

Die Kirchensynode (kyrkomötet), das höchste Gremium der Schwedischen Kirche, ermöglichte und forderte durch wenige, aber einschneidende neue Regelungen eine bessere Zusammenarbeit der einzelnen Kirchengemeinden. Im Jahr 2007 wurde z.B. entschieden, dass zu einer Gemeinde mindestens ein Kirchengebäude und ein Kirchenvorstand dazu gehören und dass in dieser Gemeinde jeden Sonntag ein sogenannter Hauptgottesdienst stattfinden muss. Da in jedem Hauptgottesdienst in der Schwedischen Kirche Abendmahl gefeiert wird und dieses nur von einer Pfarrerin oder einem Pfarrer eingesetzt werden kann, war es für viele Kirchengemeinden aufgrund von Personalmangel nicht möglich, diese Regelung der Kirchenleitung umzusetzen. Die Folge davon war, dass sich viele Gemeinden mit ihren Nachbargemeinden zusammengeschlossen haben, sodass insgesamt größere Kirchengemeinden entstanden.

Heute ist die Schwedische Kirche dahingehend strukturiert, dass sich mehrere große Gemeinden zu einem Pastorat (ähnlich wie bei uns ein Dekanat) zusammengeschlossen haben. Jede Kirchengemeinde hat ihren Kirchenvorstand, der für diese Gemeinde entscheiden darf. Doch für das ganze Pastorat ist der kyrkoråd zuständig, gemeinsam mit dem oder der kyrkoherde (entspricht unserem/unserer DekanIn). Der Sitz der oder des kyrkoherde sowie die Büros aller Mitarbeitenden und der Verwaltung des Pastorats liegen im Zentrum des Pastorats, dies ist meist der größte Ort im Pastorat. Wie kann man sich die Arbeit in so einem Pastorat vorstellen?

Wenn man nach Tidaholm ins sogenannte kyrkans hus (Kirchenhaus) kommt, erwartet einen ein großes, verwinkeltes Gebäude im für Schweden typischen Stil. Im Eingangsbereich befindet sich ein großes Büro, die erste Anlaufstelle für jede/n, der eine Auskunft benötigt. In diesem Büro sitzen drei Verwaltungsfachangestellte, die den Überblick über die gesamte Arbeit im Pastorat haben. Sie kennen die „Stundenpläne“ der theologisch-pädagogischen Mitarbeiter, sie wissen wann und wo welche Veranstaltung im kyrkans hus sowie in den umliegenden Kirchengemeinden stattfinden, sie kümmern sich auch um die Finanzen des Pastorats. Das Büro ist jeden Tag von 8.00 bis 18.00 Uhr besetzt.

Wenn man weiter durch das Haus geht, befinden sich im Erdgeschoss ein großer Saal, viele kleinere Gruppenräume, eine geräumige Küche und ein Gemeinschaftsraum für die Mitarbeitenden des Hauses. Hier treffen sich zum Mittagessen und zu den für die Schweden sehr wichtigen Fika-Pausen alle, die im Haus zu tun haben: die theologisch-pädagogischen Mitarbeitenden, aber auch die Angestellten der Verwaltung, die Hausmeister, die Putzfrauen. Alle gehören zum großen Team des Pastorats und haben hier die Möglichkeit, sich über Privates und Berufliches auszutauschen. So manche gute Idee und Freundschaft ist in diesen Pausen schon entstanden.

Im Untergeschoss gibt es weitere Räume, vor allem für die Jugendarbeit. Im Obergeschoss befinden sich auf zwei Etagen die Büros der Mitarbeitenden. Jeder und jede hat sein eigenes Büro, die Türen stehen offen. Nur wer gerade ein wichtiges Telefongespräch hat oder nicht gestört werden will, schließt seine Tür. Ansonsten ist klar: Ich kann jederzeit zu meiner Kollegin oder meinem Kollegen gehen und mir einen Rat holen. Circa 20 Mitarbeitende sind für die theologisch-pädagogischen Tätigkeiten im Pastorat zuständig, das eher zu den kleineren Pastoraten in der Schwedischen Kirche gehört.

tillsammans

Verena Lorz war im Rahmen ihrer Bachelorarbeit für vier Wochen in den Pastoraten Tidaholm und Borås in Schweden, um sich die Strukturen und die Arbeitsweise der Schwedischen Kirche genauer anzusehen. Ihre Bachelorarbeit trägt den Titel: „Multiprofessionelle Teams in der Schwedischen Kirche – Ein anregendes Beispiel für die ELKB?!“ (Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern)

Viele große Veranstaltungen sowie der Hauptgottesdienst, die Konfirmandenarbeit, die Chor- und Bandproben etc. finden im kyrkans hus und in der gegenüberliegenden Kirche statt. Doch die Kirchengemeinden mit ihren Gemeindehäusern und Kirchen wurden nicht aufgegeben. Von Tidaholm aus fahren die Mitarbeitenden in die umliegenden Gemeinden und halten auch dort Gottesdienst, bieten Jungschargruppen an und sind AnsprechpartnerInnen für die Gemeindemitglieder.Doch – und das soll an dieser Stelle klar gesagt werden – es wird nicht mehr in jeder der 17 Kirchen am Sonntag Gottesdienst gehalten und das Angebot in den Gemeindehäusern ist begrenzt. Viel spielt sich im Zentrum Tidaholm ab. Das wirft natürlich die Frage auf, wie die Menschen dort hinkommen und ob sie dann überhaupt noch kommen? Ja, sie kommen! Für Menschen, die nicht mehr oder noch nicht selbst Auto fahren können, gibt es Fahrdienste. Die anderen nehmen die Strecken gerne auf sich – das liegt natürlich daran, dass Schweden es insgesamt gewohnt sind, längere Strecken mit dem Auto zurück zu legen. Es liegt aber auch daran, dass die Angebote in Tidaholm sehr attraktiv und vor allem qualitativ hochwertig sind.

Die Mitarbeitenden der Kirche setzen auf Zusammenarbeit und Teamarbeit. Selten ist ein Pfarrer oder eine Pädagogin alleinverantwortlich für einen Gottesdienst, eine Gruppe oder eine Veranstaltung. Die Konfirmandenarbeit wird von einem Pfarrer und einer Pädagogin übernommen, die Jugendgruppe leitet der Jugendpfarrer und eine Diakonin, die Chöre leiten zwei Musikerinnen zusammen, zu Freizeiten fahren in der Regel mindestens drei hauptamtliche Mitarbeitende mit. Durch die gemeinsamen Büros im kyrkans hus sind die Kommunikationswege kurz und die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut. Alle Aufgaben werden gemeinsam gestemmt, das entlastet die Mitarbeitenden, gerade wenn mal jemand krank wird, es fördert die Kreativität und damit auch die Qualität.

Und zudem gilt im Pastorat Tidaholm ein Grundsatz: Wir bieten das an, was wir gemeinsam stemmen können, ohne dass wir darunter leiden müssen. In der Schwedischen Kirche gibt es für alle Mitarbeitenden eine 40-Stunden-Woche, die konsequent eingehalten wird und auch von den Verwaltungsfachangestellten sowie der oder dem kyrkoherde überprüft wird. Das bedeutet auch, es gibt einen Überstundenausgleich bei Freizeiten, den Pfarrern steht mindestens ein freies Wochenende im Monat zu usw. Zum Vergleich: Pfarrerinnen und Pfarrer in unserer Landeskirche arbeiten bis zu 60 Stunden pro Woche ohne Überstundenausgleich und häufig mit nur einem schwer erkämpften predigtfreien Sonntag. Und ein weiterer Unterschied: Sie sind für die meisten ihrer Aufgaben allein verantwortlich, auch für die Verwaltungsaufgaben ihrer Kirchengemeinde. Ähnliche Arbeitsbedingungen finden auch die anderen pädagogisch-theologischen Mitarbeitenden vor.

Die Zusammenarbeit in Teams sowie die klaren Arbeitsstrukturen führen bei den Mitarbeitenden der Schwedischen Kirche vor allem zu einem: einer großen Zufriedenheit und Verbundenheit mit ihrer Kirche. Und das wirkt sich auch auf die Kirchenmitglieder und Ehrenamtlichen aus.

Die Attraktivität einer Kirche hängt zu einem großen Teil von ihren hauptamtlichen Mitarbeitenden ab. Anders als die Schwedische Kirche kann unsere Landeskirche nicht nur auf sehr gut ausgebildete hauptamtliche Mitarbeitende zurückgreifen, sondern auch auf einen (für Schweden) beneidenswert großen Pool an ehrenamtlichen Mitarbeitenden. Sie stemmen viel in unserer Kirche und ohne sie wäre Vieles nicht mehr möglich. Doch auch hier gilt: Ehrenamtliche haben einen Anspruch darauf, von hauptamtlichen Mitarbeitenden gut begleitet zu werden. Und Ehrenamtliche bringen sich lieber in einer Kirche ein, die von zufriedenen, ausgeglichenen Hauptamtlichen geführt wird.

Gemeinsam mit zufriedenen Hauptamtlichen und motivierten Ehrenamtlichen können dann Gottesdienste (und andere Formate) entstehen, wie Sie es am Anfang des Artikels lesen konnten. Ich würde mir solche Gottesdienste und weitere Angebote in diesem Stil auch für unsere Kirchengemeinden wünschen.

Doch dafür müssten sich erst die Strukturen in der Landeskirche grundlegend verändern. Ein Ansatz in diese Richtung bietet der Reformprozess Profil und Konzentration (PuK) der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Was es genau damit auf sich hat, können Sie im nächsten Apostelbrief lesen.

Wenn Sie insgesamt gerne mehr zu diesem Thema erfahren möchten, können Sie mich gerne ansprechen. Vielleicht wäre das auch ein Thema für einen Gemeindeabend.

Verena Lorz