Der Apostelbrief

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Aufstehen, frühstücken, am Schreibtisch arbeiten ...

Verena Lorz

... zu Mittag essen, kleine Mittagspause, am Schreibtisch arbeiten, kochen, zu Abend essen, eine Stunde spazieren gehen / ein Sportvideo machen, Fernsehen schauen oder lesen, ins Bett gehen. Dazwischen etwas Hausarbeit.

Klingt nach keinem schlechten Tag. Aber das ist mein Tagesablauf seit über sechs Wochen und es gibt kaum etwas, das ihn unterbricht. Seit dem Shutdown im März aufgrund der Corona- Pandemie fehlt mir vor allem eines: Dinge, auf die ich mich freuen kann. Mit dem Partner essen gehen? Geht nicht. In die Stadt einkaufen gehen? Mit Maske und vor den Läden anstehen? Lieber nicht. Ins Kino oder Theater gehen? Keine Chance. Mit Freunden treffen? Nicht erlaubt. Meine Oma im Seniorenheim besuchen. Auch das darf ich nicht. Die Konzerte, für die wir schon Karten hatten, wurden abgesagt. Genauso wie Hochzeiten, Geburtstagsfeiern, Besuche von Freunden, die weiter weg wohnen.

Und dann merke ich auch, wie sehr mir meine Arbeit fehlt. Gut, am Schreibtisch war ich da auch oft gesessen, aber immer wieder unterbrochen durch die Veranstaltungen und Treffen in der Gemeinde und die Unterrichtsstunden in der Schule. Mir fehlen die Menschen! Das Gespräch mit den Kollegen, meine Jugendlichen in der Gemeinde, die Schülerinnen und Schüler, die Konfis, die KV-Sitzungen, das gemeinsame Singen in den Gottesdiensten, die lieben Gesichter, die einem im Gemeindehaus begegnen. Alles fehlt. Und keine Videokonferenz kann es ersetzen. Der persönliche Kontakt ist und bleibt das, was uns Menschen ausmacht. Das ist wohl eine der größten Erkenntnisse, die wir im Moment haben und die wir hoffentlich aus dieser Zeit mitnehmen, wenn Corona nicht mehr alles überschattet.

Bis dahin heißt es durchhalten, geduldig sein, abwarten, das Beste daraus machen. Es fällt schwer. Doch ich merke, wie ich mich plötzlich über die ganz kleinen Dinge freuen kann. Wenn spontan eine Freundin anruft. Wenn ein neues Rezept gelingt. Wenn man nun jeden Abend beim Spazieren gehen auf den selben Nachbarn trifft und anfängt sich besser kennen zu lernen. Wenn man während des Videochats mit der Jugendgruppe mal für eine Stunde die Zeit vergisst. Und noch etwas hilft, diese Zeit gut durchzuhalten: Neue Gewohnheiten. Der Abendspaziergang in der Natur gibt Kraft. Jeden Morgen sehe ich mir nun den kleinen Morgenimpuls von unserem Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm auf Instagram an und gehe so mit einem biblischen Wort und einem guten Gedanken in den Tag. Und der Sonntagsgottesdienst am Fernseher, im Radio oder in geschriebener Form ist wichtiger geworden den je. Der Glaube trägt, gibt Kraft und Geduld – auch das ist eine Erkenntnis, die viele von uns in den letzten Wochen machen konnten und die wir hoffentlich mitnehmen können, für die Zeit nach Corona.

Doch es bleibt eine seltsame Zeit. Immer wieder muss ich darüber nachdenken, wie gut es mir trotzdem geht. Wie privilegiert ich bin – als Kirchenbeamtin mit einem festen Einkommen, noch ohne Kinder, um die ich mich nun ganztägig kümmern muss. Mit einem Beruf, der nicht systemrelevant ist und gerade alles von mir abverlangt. Auch um meine Familie muss ich mir keine Sorgen machen, niemand ist gefährdet. Keiner hat sich bisher angesteckt. Dafür bin ich unglaublich dankbar. Und bei diesen Gedanken, fasse ich mir dann auch an die eigene Nase und mit einem „Stell dich nicht so an!“ gehe ich in eine weitere Woche mit aufstehen, frühstücken, am Schreibtisch arbeiten, zu Mittag essen, kleine Mittagspause, am Schreibtisch arbeiten, kochen, zu Abend essen, eine Stunde spazieren gehen / ein Sportvideo machen, Fernsehen schauen oder lesen, ins Bett gehen. Dazwischen etwas Hausarbeit.

Verena Lorz