Der Apostelbrief

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Nr. 155
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Die Augsburger Barfüßerkirche

Der Verfasser dieser Zeilen hat eine sehr enge Bindung an unsere Apostelkirche in Gerbrunn: Dort habe ich in unzähligen Gottesdiensten Kraft, Erkenntnis und Trost gefunden, dort habe ich in vielen Jahren die Menschen mit einigen vierhändigen Konzerten und natürlich auch Auftritten des Ökumenischen Chors erfreut, und – last but by no means least – sind dort vor 33 Jahren meine Frau Kristina und ich kirchlich getraut worden. Aber parallel fühle ich mich auch der Barfüßerkirche in Augsburg sehr verbunden, in der ich zahllose Gottesdienste und Konzerte erleben durfte. In der Barfüßergemeinde war ich in den letzten 6 Jahren Mitglied des Kirchenvorstands, und ich werde es – meine Wiederwahl vorausgesetzt – auch weiterhin sein.

Barfüsserkirche

Warum dieser Artikel? Wie der Name suggeriert, ist die Barfüßerkirche eine Gründung der Franziskanermönche, die entsprechend dem Armutsideal ihres Ordensgründers, des hl. Franz von Assisi (1181-1226, kanonisiert 1228 durch Papst Gregor IX) barfuß oder in Sandalen gingen. Im vergangenen Jahr wurde dort das Jubiläum „800 Jahre franziskanischen Lebens nördlich der Alpen“ gefeiert, das weit über die Grenzen Augsburgs hinausstrahlte. Auch in Würzburg gedachte die Interfranziskanische Arbeitsgemeinschaft (INFAS) dieses Jubiläums.

Geschichte. Die Barfüßerkirche in Augsburg hat eine sehr wechselvolle und interessante Geschichte, von der einige wenige Aspekte hier kurz zur Sprache kommen sollen, die den häufigen Wechsel zwischen den Konfessionen beschreiben. Als Geburtsjahr der Kirche kann man vielleicht das Jahr 1243 ansehen, in dem Bischof Siboto den Minoriten ein ummauertes Grundstück zum Bau eines Klosters nebst einer Kirche überlässt.

Eine Feuersbrunst zerstört 1398 das Barfüßerkloster samt Kirche. Weil der Brand nicht dort selbst, sondern in einer nahegelegenen Backstube ausbrach, beschließt der Stadtrat, „diesen armen Brüdern ihr Kloster zum Theil auf seine Kosten, zum Theil aus gemeiner Stadt Almosen-Seckel wiederum aufbauen [zu] lassen“. Die neue riesige und ungewöhnlich hohe Klosterkirche wird im Stil einer gotischen Basilika errichtet. 1536 wird die Barfüßerkirche zur evangelischen Pfarrkirche erhoben, aber nach der Niederlage der Protestanten im Schmalkaldischen Krieg versucht Kaiser Karl V. auf dem sog. „Geharnischten Reichstag“, die Ergebnisse der Reformation rückgängig zu machen. Im Ergebnis bleiben den Evangelischen, in Augsburg immerhin 90% der Stadtbevölkerung, zur Ausübung ihrer Gottesdienste nur die Kirchen St. Anna, St. Jakob und Zu den Barfüßern. Am 8. August wird in der Barfüßerkirche das „Hohe Friedensfest“ als Dank für den Westfälischen Frieden gefeiert, der zum Ende des Dreißigjährigen Krieges die Gleichstellung der beiden Konfessionen brachte. In der Kriegsnacht 1944 wird das Langhaus fast völlig zerstört; es stehen bis heute nur der Chor und ein Teil des Kreuzgangs, die für Gottesdienste und Veranstaltungen genutzt werden.

Kunstgegenstände. Im Vergleich zum Interieur anderer evangelischer Gotteshäuser wirkt das innere Erscheinungsbild der Barfüßerkirche durch seine Kargheit und Austerität. Allerdings weist der Kirchenraum einige beachtliche Kunstschätze auf. Am eindrucksvollsten sind vermutlich zwei Meisterwerke des Künstlers Georg Petel: das Kruzifixus (1631) und das Christuskind (1632). Der Messias erscheint hier gewissermaßen in zwei Gestalten: als der geschundene Gottessohn, der durch sein Leiden die Menschheit erlöst (Jes. 53, 5-6), und zugleich als triumphierender Friedensfürst, dessen Reich für alle Zeiten besteht (Jes. 9, 5-6).

Als ich das Petel-Christkind zum ersten Mal aus der Nähe sah, war ich zutiefst bewegt, weil es lächelt! Man muss dazu wissen, dass Petel es in den schlimmsten Pestjahren in Augsburg schuf: im Jahr zuvor war seine Frau an der Pest gestorben, und im Jahr der Entstehung 1632 fiel er selbst der Pest zum Opfer. Welch Gottvertrauen kommt hier zum Ausdruck!

Barfüsserkirche

Außer den beiden Petelschen Meisterwerken hängen in der Barfüßerkirche berühmte Bilder. Besonders hervorzuheben sind die Gemälde Jakobs Traum (Joachim von Sandrart, 1675) und das Abendmahl Christi (Nicola Grassi, 1730), sowie ein Bildnis des Komponisten Adam Gumpelzhaimer (Lucas Kilian, 1622). Ein weiteres Meisterwerk im Kirchenraum ist das Chorgitter, das der Handelsherr Peter Laire 1759 stiftete und das den Altarraum vom Hauptraum trennt. Die prachtvolle schmiedeeiserne Rokokoarbeit mit bewegten Rocaillen und blauen Emailfeldern in vergoldeten Kartuschen wurde 1760 von Johann Birkenfeld fertiggestellt.

Orgel. Zum ersten Mal wird die Orgel in der Barfüßerkirche 1609 urkundlich erwähnt. Sie hatte nur 11 Register, und man fragt sich, wie eine so kleine Orgel für die große Kirche (mit damals 2000 Plätzen!) genügen sollte. Hierzu muss man wissen, dass in jener Zeit der Gemeindegesang nicht von der Orgel begleitet, sondern vom Kantor mit seinen Chorknaben angeführt wurde. 1757 wurde die Orgel durch eine größere ersetzt, mit deren Neubau kein Geringerer als Johann Andreas Stein, ein Silbermann-Schüler, beauftragt wurde.

Barfüsserkirche

„Was glauben Sie, Herr Stein, werde ich herumlaufen auf der orgl?“ wiederholte Wolfgang Amadeus Mozart seine an Stein gerichtete Frage in einem Brief an seinen Vater Leopold. Zur großen Freude des Orgelbauers spielte er dann auf der Stein-Orgel eine Fuge. Bekanntlich ist Augsburg die Geburtsstadt Leopold Mozarts; daher hat Augsburg viel mehr das Recht, sich „Mozartstadt“ zu nennen als Würzburg, weil Mozart Würzburg nur mal einen Tag besuchte, um an der Krönung des Kaisers Leopold II. teilzunehmen. Auch Albert Schweitzer, Arzt und hervorragender Organist, gab 1929 dort ein Konzert und sprach sich lobend über den Klang des Instruments aus.

In der furchtbaren Bombennacht im Februar 1944 wurde die Orgel ein Raub der Flammen. Eine von der Fa. Rieger neu gebaute Orgel wurde 1958 eingeweiht. Die strenge Symmetrie des Kirchenraums wird durch die klassische Anordnung der Werke gewahrt und betont: in der Mitte das Hauptwerk, darunter das Brustwerk, über dem Hauptwerk das Kronwerk und zu beiden Seiten das Pedal. Als Besonderheit kann man die „Spanischen Trompeten“ ansehen, die hier erstmals im deutschsprachigen Raum eingebaut wurden.

Historisch zählt die Barfüßerkirche sicher zu den wichtigsten sakralen Bauten Augsburgs. Ihr Schicksal war und ist von Anfang an mit der evangelischen Stadtbevölkerung eng verbunden. Bekannt ist die Kirche übrigens auch deswegen, weil Berthold Brecht dort 1898 konfirmiert wurde. Nicht zuletzt ist die Barfüßerkirche kunsthistorisch interessant, weist ihr Kirchenschmuck doch einige großartige Werke namhafter Meister auf. Wer immer nach Augsburg kommt, sollte sie besuchen, die enorme spirituelle Kraft des Kirchenraums erspüren, und sich von Petels Christkind segnen lassen.

Jürgen Appell

Barfüsserkirche