Der Apostelbrief

Februar - März 2000
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Was macht eigentlich ein Pfarrer so die ganze Woche?

von Pfr. Johannes Riedel

Diese Frage höre ich öfters, sei es von Schülerinnen, von Konfirmandinnen oder auch von ganz »normalen« Gemeindegliedern. Die Aufgaben eines Arztes sind jedem klar. Was ein Maurer tut, kann jeder sehen. Schon bei Mitarbeitern in der Diakonie wird es schwieriger. Darum lassen wir unsere Konfirmandinnen im Moment gerade in kleinen Grüppchen mit einigen Pflegerinnen mal zwei, drei Stunden mitlaufen. Einfach um hautnah mitzuerleben, was Nächstenliebe konkret heißen kann.

Um einen Eindruck von der Arbeit eines Pfarrers zu bekommen, würden zwei Stunden Mitlaufen nicht ausreichen. Die Aufgaben sind viel zu facettenreich. Man brauchte wenigstens eine Woche. Das kann ich unseren Konfirmandinnen natürlich nicht antun. Stattdessen habe ich mal eine ganz normale Woche mitskizziert. Vielleicht ist das ja auch für Sie interessant.

Montag

Um 6.50 Uhr Aufstehen. Beim Frühstück erste Überlegungen zur Unterrichtsvorbereitung. Im Anschluß Vorbereitung der Stunden für die 5. und 6. Klasse. Duschen. Bestimmt denken die Vorbeilaufenden wieder: »Der Pfarrer hat's gut. Steht jetzt erst auf.« Wurscht. Weitermachen. Kaum sitze ich am Schreibtisch: Telefon. Anmeldung eines Kindes zur Taufe. Kann es evangelisch werden, obwohl die Mutter katholisch ist? Selbstverständlich. Macht es was, wenn die Paten aus der Kirche ausgetreten sind? Nun, dann können sie ja irgendwie schlecht ein kirchliches Amt übernehmen, was meinen Sie? Sieht sie ein. Wird mit ihnen sprechen. Kaum aufgelegt, nächster Anruf: Kirchensteueramt. Es fehlen irgendwelche Daten eines neuen Gemeindeglieds. Alles klar: Ich kümmer mich drum.

Die Vorbereitung der dritten Religionsstunde dauert länger. Unter anderem brauche ich eine Folie für den Tageslichtprojektor. Also: Computer an, Bild einscannen, Folie drucken. Ach, da fällt mir ein: Muß noch ein Plakat und einen Handzettel für die Gemeindefreizeit entwerfen. Mist, Mittwoch Abend ist wieder Vorbereitungstreffen. Also, ran an die Buletten. Wie mach ich das? Soll ja irgendwie ansprechend aussehen. Viele Entwürfe.

Kinder da. Mittagessen. Mittagspause.

Um 15.00 Uhr: Erst mal noch die Religionsstunden fertig machen. Alle Unterlagen fürs Büro und fürs Taufgespräch fertig machen. Noch eine halbe Stunde Zeit, das Plakat weiter zu machen.

16.15 Uhr: Im Büro herrscht Chaos. Vieles durch die Weihnachtszeit liegen geblieben. Zig Leute kommen und gehen. Manche wollen mit mir reden, manche mit Frau Heinrich. Niemand soll abgefertigt werden, aber ich sitze auf Kohlen. Um 17.00 Uhr hab ich den Termin und muß noch einiges mit der Sekretärin regeln.

Komme natürlich zu spät. Taufeltern sind aber nicht bös. Tasse Kaffee. Wir unterhalten uns über die familiäre Situation: Zweites Kind. Erste Katastrophen. Erinnerungen an die Taufe des ersten Kinds. Dann gemeinsame Vorbereitung des Taufgottesdienstes. Macht beiden Seiten Spaß.

Wieder daheim. Abendessen. Fertig für heut. Kindern gute Nacht sagen. Klavierspielen zum Ausgleich. Noch ein Anruf: Irgendwas Organisatorisches.

Dienstag

6.40 Uhr Wecker. Schnellwäsche und -frühstück. Büro: Gitarre holen, Kopien für Schule machen. 8.00 Uhr: 5. Klasse Sieboldgymnasium: Schleppe Zeitschriften an. Heute wird mal eine Collage gemacht. 6. Klasse: Kreativer Einstieg in das Thema »Passion«: In den Umriß eines Kreuzes schreiben und malen die Schülerinnen eifrig ihre Assoziationen. Austausch, Singen usw.

Freistunde: schnell zur Gesamtkir-chenverwaltung. Barauslagen erstatten lassen, Überweisungen anweisen, Personalfragen mit Sachbearbeiterin besprechen.

Nach Gerbrunn ins Büro. Büro bevölkert: Pfr. Wohlleber schaut mal rein, Kirchenpfleger wegen Kollekten, Hausmeister will etwas geklärt haben, Diakonin, Organistin. 9. Klasse Hauptschule: Umgang mit Trauer und mit Trauernden. Schwierige Klasse.

Zu Hause: Aufwärmen von Resten. Frau musste zum Arzt. Essen etc.

15.00 Uhr: Erledigen der Post. Anrufe. Fast 40 min telefonische Miniredaktionssitzung für nächsten Apostelbrief. Anruf des Vertrauensmannes des Kirchenvorstands wegen KV-Sitzung am Montag: Thema v.a.: Heizungssanierung im Gemeindezentrum. Anruf bei Konfirmandenmitarbeitern: Thema für Vorbereitung des nächsten Konfirmandensamstags. Junge Frau ruft an wegen Seelesorgetermin. Telefon schweigt. Nutze Gelegenheit, einen ersten Blick auf den Predigttext für Sonntag zu werfen. Arbeit am Computer. Abends: Probe. Nach Ausstieg des Bassisten und des Schlagzeugers müssen neue Lieder für kleinere Besetzung entwickelt werden, alte neu arrangiert. Gitarrist geht gegen 24.00 Uhr.

Mittwoch

Keine Schule. Ausschlafen bis 7.00 Uhr. Schreibtischarbeit. Formulare für den Kindergarten müssen fertig gemacht werden uva. Schreiben der Predigt für Sonntag. Zwischendurch: Pfarrerin Schrick von der Auferstehungskirche (gehört wie Rottendorf zu unserer Pfarrei) ruft an. Mini-Dienstbesprechung am Telefon. Vorbereitung Religionsunterricht. Bei Abholung des Sohnes Absprachen mit der Leiterin des Kindergartens zwischen Tür und Angel. Kleine Dienstbesprechung mit der Religionspädagogin am Telefon.

Anruf aus Rottendorf wegen Trauung, weil ich im Moment die Vertretung für Pfr. Wurmthaler habe, etc. pp. Bin froh, dass der Vorbereitungstermin für die Gemeindefreizeit abends kurzfristig verschoben wurde.

Donnerstag

6.30 Uhr: Wecker. Schule. Fünfte: Prämierung der schönsten Collagen zum Thema "Bewahrung der Schöpfung". Neues Thema: Bibel. Sechste: Weiterführung des Themas. Singen (machen sie noch gern). Neunte: Christliche Riten rund um den Tod. Und der Sinn dahinter.

Wieder daheim. Anruf einer Frau aus dem Kindergartenbeirat. Durchsprechen der Themen der nächsten Sitzung. Insbesondere Frage der Nachmittagsgestaltung in den Kindergartengruppen.

Nachmittags Planung der Termine für das zweite Konfirmandenhalbjahr. Versuch, per Telefon aus den Reihen der Eltern jemanden für das Mittagessen-Kochen am Samstag zu gewinnen. Schwierig. Wegen Urlaub und Missverständnis spät dran. Planung des Gottesdienstablaufs für Sonntag. Auswählen der Lieder. Durchgeben an Organisten in Rottendorf und Gerbrunn.

19.00 Uhr Konfiteam: Zu fünft tasten wir uns an das Thema »Was glauben wir eigentlich?« heran. Bald rege Diskussion. Wie lässt sich das Thema für die Konfirmandinnen umsetzen? Entwurf eines Plans für den Samstag. Wechsle in anderen Raum. Dort hat schon das Treffen des Besuchsdienstes begonnen. Erfahrungsaustausch.

Absprachen. Organisation. Sichtung von Geschenken für Geburtstage... Müde. Bett.

Freitag

6.40 Wecker. Frühstück. Nochmals Telefonate wegen Mittagessen am Samstag. 8.30 Pfarramt. Unterschriften. Durchsicht der Termine für den Monatsgruß. Post erledigen. Frau Heinrich bei der Erfassung unserer Mitarbeiter mit dem neuen Computerprogramm helfen. Soll erstmals bei der Einladung zum Neujahrsempfang der Gemeinde eingesetzt werden.

10.15 Dienstbesprechung mit Religionspädagogin und Diakonin, zeitweise Sekretärin. Nachbesprechung der vielen Veranstaltungen in der Advents- und Weihnachtszeit. Besonders erfreulich: Resonanz nach erstem Krabbelgottesdienst für die Kleinsten mit Eltern. Planung der nächsten Ereignisse. Absprachen.

Sprechzeit. Ehepaar möchte eintreten. Freut mich. Termin, Formular, kleines Gespräch. Diakonie-Beauftragte aus dem Kirchenvorstand wartet schon lange. Endlich Zeit. Ein Gottesdienst mit Behinderten der Offenen Behinderten-Arbeit – lange schon angedacht – soll endlich konkret werden.

Nachmittags Geburtstagsbesuch bei 75jährigen. Erzählen aus dem Leben. Kleiner Hund will mich beißen, wird aber vorsorglich weggesperrt.

Rückruf einer Mutter: Kocht morgen. Uff. Schnell noch Schwester Elsbet in Sozialstation anrufen.

Bestätigung ihres Kommens zum Konfi-Samstag zwecks Einteilung der Konfirmandinnen für das Diakonie-Praktikum.

Erstellen eines Arbeitsblatts für den Samstag. Vorbereiten einer Andacht. Erzieherin ruft an, möchte ein Gespräch.

Samstag

8.30 Treffen der Mitarbeiter, 9.00 bis 15.00 Konfirmandensamstag: Singen, Gruppenarbeiten, Kreatives, etc. Macht Spaß, geht aber auch an die Substanz. Aufräumen. Nachbesprechung.

Daheim hingelegt. Fast Termin verpennt. Gespräch mit Erzieherin wegen Problemen.

Ans Klavier, Lied für Gottesdienst durchspielen, Begleitung überlegen. Predigt memorieren.

Sonntag

7.15 Wecker. Nochmals Predigt überfliegen. Was sag ich bei der Begrüßung? Ansingen des Introitus. Fertigmachen. 9.15 Gottesdienst in Rottendorf, 10.30 in Gerbrunn. Direkt im Anschluß zum Neujahrsempfang der politischen Gemeinde. Kontakt halten ganz wichtig. Kurzes Gespräch mit Bürgermeister bezüglich Kindergarten-Finanzierung. ..

Ausgiebiger Mittagsschlaf. Mathe-Nachhilfe für Tochter. Ausschnaufen am Klavier. Fernsehen.

23.50: Telefon klingelt dreimal. Kommen zu spät aus dem Bett. Fast wieder eingeschlafen, wieder Telefon. Mann mit leicht verzweifelten Unterton. Ist am Bahnhof, sucht Übernachtungsmöglichkeit. Hat keine Mittel. Alle Innenstadt-Pfarrämter schon angerufen. Zur Bahnhofsmission will er nicht. Lasse mich breitschlagen: Darf im Untergeschoß des Gemeindezentrums übernachten. Bin aber misstrauisch. Lasse mir Pass geben. Er will nichts weiter erzählen. Nur dass er plötzlich mittellos ist und am nächsten Morgen weiter nach Norddeutschland fahren will. Gut gekleidet, kein Obdachloser. Vielleicht Geld irgendwo verspielt. Am nächsten Morgen gebe ich ihm seinen Pass wieder, er bedankt sich und entschwindet.

Puh, war wieder eine lange Woche. Dabei hatte ich noch Glück: Keine Beerdigung (Gespräch+Vorbereitung + Durchführung mindestens halber Tag), kein Termin mit Kriegsdienstverweigerer (bin einer der Berater für das Dekanat), keine Pfarrkonferenz (ganzer Nachmittag), keine Sitzung der Gesamtkirchenverwaltung (= »Kirchenvorstand« der Würzburger Kirchen; ganzer Abend), keine Trauung, Taufe, kein Konzert in z.B. Reichenberg (»Haste Töne« sehe ich als mein Engagement auf Dekanatsebene), keine Konfirmanden- oder Kirchenvorsteherfreizeit, keine Ausschusssitzung, kein Elternabend in der Schule, keine besondere Veranstaltung im Kindergarten ...

Der Beruf ist sicher ganz anders, als ich mir das seinerzeit vorgestellt habe. Vor allem beneide ich manch mal Kollegen mit geregelter Arbeitszeit. Aber insgesamt ist es doch auch ein sehr schöner und facettenreicher Beruf, zu dem ich für mich kaum eine Alternative wüsste.