Der Apostelbrief

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Dankbar

Von einem frommen Menschen wird überliefert, dass er auf die Frage, wie es ihm gehe, zwei Antworten parat hatte: »Danke, gut« oder, mit einem leichten Seufzen, »Wir wollen dankbar sein.« Deshalb fragte die erwachsene Tochter ihren Vater gelegentlich: »Geht es dir gut, oder willst du dankbar sein?«

Dabei ist der Vater gar nicht dankbar - er will es nur sein. In Wirklichkeit geht es ihm schlecht und er würde viel lieber schimpfen und klagen. Aber das verbietet seine antrainierte Frömmigkeit - Dankbarkeit als Christenpflicht.

Zahlreiche Beispiele aus der Bibel zeigen, dass wir Gott auch unser Leid klagen dürfen. Ein gutes Beispiel dafür ist Psalm 13. Es wäre also gar nicht nötig, mit der ausweichenden Formulierung »wir wollen ...« haarscharf an der Heuchelei vorbei zu segeln.

Andererseits sagt Paulus im Kolosserbrief an zwei Stellen (Kol. 2,7 und Kol. 3,15) »seid dankbar« und nicht »Seid dankbar, wenn es euch gerade gut geht«. An anderer Stelle heißt es sogar »seid dankbar in allen Dingen« (1. Thess. 5,18).

Hat der Vater also doch recht, mit seinem Versuch, auch in Leid und Krankheit »mit Gewalt« dankbar zu sein?

Paulus geht es wohl eher um eine grundsätzliche Einstellung, um eine Art unser Leben zu betrachten und zu beleuchten.

Dankbar in allen Dingen zu sein heißt, zu wissen dass wir es nicht alleine schaffen können. Das macht uns fähig, uns helfen zu lassen. Im Kleinen von unseren Mitmenschen und in den letzten Fragen nach Leid, Schuld und Tod von Gott selbst.

Dankbar in allen Dingen zu sein heißt, zu wissen, dass wir nicht auf uns alleine gestellt sind. Christen sind zwar ebenso wenig wie alle anderen Menschen vor Schicksalsschlägen gefeit, aber sie wissen, dass Gott sie zwar nicht vor Krankheit, Leid und Tod bewahrt, aber dass er sie auch und gerade in diesen Lebenskrisen bewahrt.

Jede und jeder von uns hat Gründe zu klagen, die eine mehr, der andere weniger. Und Klagen fallen uns immer genügend ein. Aber wir haben auch Gründe, dankbar zu sein. Wir müssen vielleicht etwas länger darüber nachdenken, aber es gibt solche Gründe, bestimmt.

Christen sollen nicht für alles Leid, dass sie erfahren, um des Leides selbst willen dankbar sein. Aber sie sollen über dem Klagen nicht das Danken vergessen. Denn dankbar zu sein bedeutet auch, sich an das zu erinnern, für das wir dankbar sein können. Das löst vielleicht nicht die Probleme, die uns auch gerade beschäftigen, aber es rückt unser Leben in ein viel freundlicheres Licht.

-pv-