Der Apostelbrief

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Alles was recht ist

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Kinder haben ein feines Gespür für Gerechtigkeit. Und wenn sie den Eindruck haben, dass es ungerecht zugeht, können sie sehr energisch auf die Wiederherstellung gerechter Zustände pochen, etwa was die Verteilung des Nachtischs angeht.

Bei Erwachsenen ist die Sache nicht ganz so einfach. Politiker aller Parteien setzen sich angeblich für mehr Gerechtigkeit ein – im Gegensatz zum politischen Gegner selbstverständlich. Da kann man schon mal ins Grübeln kommen ...

Gerechtigkeit ist ein zentrales Thema der Bibel. Manchmal geht es dabei auch um die gerechte Verteilung von Gütern oder die Gerechtigkeit von Entscheidungen aller Art. Aber meist geht es um die Gerechtigkeit des Menschen vor Gott.

Gerechtigkeit in diesem Zusammenhang bedeutet, den Ansprüchen Gottes an uns gerecht zu werden. Das Volk Israel hat ein umfangreiches Gesetzbuch bekommen. Wer alle diese Gesetze erfüllt, ist nach jüdischem Verständnis gerecht. Bei genauerer Betrachtung lassen sich die allermeisten dieser Gesetze in wenigen Worten zusammenfassen: Gerecht vor Gott zu sein bedeutet, Gott in allen Bereichen des Lebens die oberste Priorität einzuräumen und nicht zu versuchen, sich selbst an seine Stelle zu setzen.

Nach allem, was wir aus der Bibel wissen, ist es unmöglich ohne diese »Gerechtigkeit vor Gott« in seiner Gegenwart zu existieren – ohne seine Gegenwart ist es auf Dauer aber gar nicht möglich, zu existieren. Deshalb heißt es bei Paulus: »Der Sünde (das ist das Gegenteil von Gerechtigkeit) Sold ist der Tod« (Römer 6,23).

Die Erfahrung der letzten paar Jahrtausende lehrt uns allerdings, dass es für einen Menschen unmöglich ist, diesem Anspruch völlig gerecht zu werden. Gott möchte, dass wir in seiner Gegenwart leben, aber wir schaffen es nicht, die Voraussetzungen dafür zu schaffen.

Das woran wir in der Passionszeit und vor allem in der Karwoche denken ist die Antwort Gottes auf unser Unvermögen: Er wird selbst in Jesus Mensch und nimmt die Konsequenz unserer Gottesferne, den Tod, stellvertretend für uns auf sich. Auch wenn wir vielleicht ein instinktives Gespür für die Notwendigkeit ausgleichender Gerechtigkeit haben, ist es doch schwer für uns, zu verstehen, warum dieses Opfer Jesu notwendig war.

Aber entscheidend ist, dass es funktioniert. Denn das was Jesus für uns getan hat, wird durch seine Auferstehung am Ostermorgen von Gott beglaubigt. Seit damals wissen wir: Der Stein ist weg, der Weg ist frei zu einem gelingenden Leben in der Gegenwart Gottes.

Manchmal ist es doch ganz schön, wenn Gnade vor Recht ergeht.

-pv-