Der Apostelbrief

Februar - März 2007
Voriger Apostelbrief
Dez. 2006 - Jan. 2007
Nr. 60
Nächster Apostelbrief
Apr. - Mai 2007

Homosexualität und Bibel

Zum Teil bis heute verurteilen viele Christen und Kirchen die Homosexualität. Neben allgemeinen theologischen Argumenten (»Sexualität ist kein Selbstzweck, dient der gottgewollten Fortpflanzung« = röm.-kath. Standpunkt), ist oft die Treue zur Bibel das Hauptargument. Schauen wir uns die wichtigste Belegstelle einmal näher an. Sie steht im Brief des Paulus an die Römer, 1. Kapitel:

»18 Alle Menschen sind nämlich dem Gericht Gottes verfallen ...20 Weil Gott die Welt geschaffen hat, können die Menschen sein unsichtbares Wesen, seine ewige Macht und göttliche Majestät mit ihrem Verstand an seinen Schöpfungswerken wahrnehmen. Sie haben also keine Entschuldigung. 21 Obwohl sie Gott kannten, ehrten sie ihn nicht als Gott und dankten ihm nicht... 23 An die Stelle des ewigen Gottes in seiner Herrlichkeit setzten sie Bilder von sterblichen Menschen und von Vögeln und vierfüßigen und kriechenden Tieren. 24 Darum lieferte Gott sie ihren Begierden aus und gab sie der Ausschweifung preis... 26 Ihre Frauen vertauschten den natürlichen Geschlechtsverkehr mit dem widernatürlichen. 27 Ebenso gaben die Männer den natürlichen Verkehr mit Frauen auf und entbrannten in Begierde zueinander. Männer treiben es schamlos mit Männern... 28 Weil sie es verwarfen, Gott zu erkennen, überließ er sie ihrem untauglichen Verstand, sodass sie alles Verwerfliche tun. 29 Es findet sich bei ihnen jede Art von Unrecht, Niedertracht, Gier, Gemeinheit. Sie sind voll Neid, sie morden, streiten, betrügen ...«

Dann beschreibt er die Gerichtsverfallenheit der Juden, die an der Tora gescheitert sind und zieht den Schluß:

»3,19 Die ganze Menschheit ist vor Gott schuldig.«

Aber das ist nach Paulus nicht Gottes letztes Wort über Juden und Heiden. Denn:

»21 Jetzt aber ist die Gerechtigkeit Gottes, nämlich seine rettende Treue, offenbar geworden: Er hat einen Weg zum Leben eröffnet, der nicht über das Gesetz führt und doch in Übereinstimmung steht mit dem, was das Gesetz und die Propheten bezeugen. 22 Dieser Weg besteht im Glauben, das heißt im Vertrauen auf das, was Gott durch Jesus Christus getan hat.24 Ganz unverdient, aus reiner Gnade, lässt Gott sie vor seinem Urteil als gerecht bestehen – aufgrund der Erlösung, die durch Jesus Christus geschehen ist.«

Homosexuelles Paar

Die Absicht ist klar: Paulus will die Gerichtsverfallenheit an vielen Beispielen deutlich machen, um das Erlösungswerk Christi um so größer herausstellen zu können. Die Beispiele sind den damals gängigen Laster-Katalogen entnommen und eigentlich zweitrangig. Wir wissen heute aus den Humanwissenschaften, dass Homosexualität weder Krankheit noch absichtliches »Fehlverhalten«, noch Folge von »Verführung« ist. Ein gewisser Prozentsatz der Menschen findet sich einfach so vor, dass er erotische Liebe nur zum eigenen Geschlecht empfinden kann.

Würde Paulus heute leben, er würde sicher andere Beispiele für die Sünde der Menschen finden. Im Bereich der Sexualität vielleicht den Menschenhandel oder den Schwarzmarkt von Kinderpornos über das Internet.

Wahrscheinlich könnte er sich auch der Stellungnahme der Rheinischen Landessynode von 1992 anschließen, in der es heißt:

»In homosexueller Liebe können homosexuell veranlagte Menschen ihrer Berufung entsprechend leben, nämlich: in den ihnen vom Schöpfer gezogenen Grenzen und im Rahmen der ihnen vom Schöpfer verliehenen Möglichkeiten ...

Wie Mann und Frau in der Ehe eine Befreiung aus dem Alleinsein erfahren, so auch der Homosexuelle. Auch zwischen Homosexuellen gibt es eine tiefe, Körper, Geist und Seele umfassende Liebe. Schließlich muss dem Homosexuellen der Wunsch nicht fremd sein, mit dem gleichgeschlechtlichen Partner durch Liebe verbunden zu bleiben, bis der Tod sie scheidet ...

Bleibende Aufgabe der heterosexuell lebenden Mehrheit in der christlichen Gemeinde ist es deshalb, zu erkennen und anzuerkennen, dass homosexuell liebende Menschen nicht weniger, sondern anders begabt sind als sie selbst.«

JR