Der Apostelbrief

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Der Herr der Heerscharen

Die Bibel und der Krieg

Die Ausrufung des »Heiligen Krieges« durch radikale Islamisten unter Berufung auf den Koran stellt uns vor die Frage: Wie sieht es mit unserem »Heiligen Buch« und dem Krieg aus? Wie friedlich ist der Gott der Bibel?

Bevor ich auf diese Frage näher eingehe, eine kleine Vorbemerkung: Es gibt keine ältere Religion (oder Philosophie), in der Kriege nicht gebilligt worden wären. Entgegen landläufiger Meinung lässt auch der als besonders friedliebend angesehene Buddhismus gewaltsamen Einsatz politischer Macht zu. Allerdings fehlt auch in kaum einer Religion der Versuch, Kriege zu begrenzen oder unschädlich zu machen.

Doch zurück zur Bibel. Als der hünenhafte Goliath aus dem Heer der Philister den kleinen Hirtenjungen und späteren König David verspottet, soll der geantwortet haben (1. Samuel 17, 45-47): »Du kommst zu mir mit Schwert, Lanze und Spieß, ich aber komme zu dir im Namen des HERRN Zebaoth (übers.: »Gott der Heerscharen«), des Gottes des Heeres Israels, den du verhöhnt hast. Heute wird dich der HERR in meine Hand geben, daß ich dich erschlage und dir den Kopf abhaue und gebe deinen Leichnam und die Leichname des Heeres der Philister heute den Vögeln unter dem Himmel und dem Wild auf der Erde, damit alle Welt innewerde, daß Israel einen Gott hat, und damit diese ganze Gemeinde innewerde, daß der HERR nicht durch Schwert oder Spieß hilft; denn der Krieg ist des HERRN, und er wird euch in unsere Hände geben.«

Dies scheint typisch für die Frühzeit des Glaubens an Jahwe: Israels und Jahwes Interessen liegen auf einer Linie, denn Gott ist eine besondere Partnerschaft mit diesem Volk eingegangen, die zwar letztlich allen Völkern zum Segen werden soll, bis dahin aber durchaus auch die kriegerische Selbstbehauptung Israels nötig macht. So ist es letztlich Gott selbst, der Krieg führt und die Feinde in die Hände seines Volkes gibt. Mancher Sieg wird errungen allein dadurch, dass Gott einen großen »Gottesschrecken« erzeugt (1. Mose 35,5).

Später, als Israel unter David und Salomo selbst groß geworden war, und in immer mehr kriegerische Auseinandersetzungen hineingezogen wird, da beginnt sich der Zweifel zu regen, ob dies wirklich alles im Sinne Gottes sein kann. Die Propheten sind es vor allem, die zum furchtlosen Stillesein aufrufen inmitten der Auseinandersetzungen mit den Supermächten der damaligen Zeit (Jes 7,4.9). Jahwe wird sogar selbst Israels Waffen zerbrechen (Hos 1,5) und am Ende ein Friedensreich heraufführen, in dem »Schwerter zu Pflugscharen« (Micha 4,3) umgeschmiedet werden.

Jesus und die ersten Christen lebten in einer Welt schwerer politischer Konflikte und Aufstände. Viele hätten gerne in Jesus den politischen Messias gesehen, der den Aufstand gegen die Römer anführt und den Befreiungskrieg im Namen Gottes zum Sieg führt. Das hat Jesus entschieden abgelehnt. Sein Reich ist zwar für aber nicht von dieser Welt. Die neue Welt wirft ihr Licht voraus, wo auf Gewalt zur Selbstbehauptung verzichtet wird und Feinde geliebt, d.h. wie Angehörige des eigenen Volkes behandelt werden (Mt 5, 38ff). Dass sich dies in der noch nicht vollendeten Welt nicht jederzeit in Alltagspolitik umsetzen lässt, war wohl auch ihm klar. Die ersten Christen erkannten darum grundsätzlich politische Gewalt als noch notwendig an (Röm 13, 1 ff), wenn auch im Wissen darum, dass das letzte Ziel der »Shalom«, der umfassende Frieden ist. Der ist es, der eigentlich dem Wesen Gottes entspricht.

Wir sehen: Die Bibel gibt keine eindeutige und allzeit unveränderliche Antwort auf die Frage: Wie steht Gott zum Thema Krieg? Wie lässt sich das deuten?

Man könnte annehmen, dass Gottes Selbstoffenbarung ein Prozess war, bei dem - ähnlich der Arbeit eines Bildhauers - aus undeutlichen Anfängen immer schärfer das Profil Gottes herausgearbeitet wurde. In Jesus schließlich fand dieser Prozess zum Ziel. Ihm war gegeben, Gottes Wesen und seinen Willen unüberbietbar zu erkennen und darzustellen. Dann hätte sich nicht Gott, sondern der Mensch und sein Wissen über Gott, sein Glaube, sein Gottesbild im Laufe der Zeit weiterentwickelt bis zum Höhepunkt in Christus. So sieht es die Mehrheit aller Christen.

Man könnte aber auch überlegen, ob nicht auch Gott sich mit den Menschen verändert hat. Denn das ist gerade das Typische der Bibel, dass sie Gott nicht unbeweglich und unveränderbar zeichnet, wie die griechische Philosophie etwa. Immer wieder wird gesagt, dass Gott etwas reute oder dass er in Zukunft so nicht mehr handeln will (1. Mose 8, 21f). Der Gott der Bibel ist ein überaus lebendiger und beweglicher Gott. Könnte es nicht sein, dass auch seine Haltung zum Thema Krieg mit dem Erwachsenwerden seiner Menschenkinder sich wandelte? Dass er in früheren Zeiten Kriege sehr wohl als Notmaßnahme zuließ, vielleicht sogar nutzte, aber als die Zeit reif war, in Jesus seinen eigentlichen, auf Frieden und Versöhnung zielenden Willen kund gab und damit dem Krieg jede Heiligkeit entzog?

Pfr. Johannes Riedel