Der Apostelbrief

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Wer glaubt, weiß mehr?

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Auch in diesem Frühjahr haben in den evangelischen Kirchen landauf landab Konfirmandinnen und Konfirmanden ein öffentliches Zeugnis abgelegt, mit dem sie sich zu Jesus Christus und seiner Kirche bekannt haben. Sie haben bekannt, dass sie zu dieser Gemeinschaft der Glaubenden gehören wollen.

Das versteht in unserer Zeit nicht mehr jeder. Religion und Glaube gelten für viele Zeitgenossen als überholte Rituale einer finsteren Vergangenheit, in der die Menschen die Lücken in Ihrem Wissen durch Götter gefüllt haben. Wozu noch glauben, wenn die Wissenschaft doch Wissen schafft?

Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: die Wissenschaften und hier vor allem die Naturwissenschaften haben in den vergangenen 250 Jahren eine faszinierend exakte Beschreibung der Welt geliefert, in der wir leben. Wissenschaftliche Erkenntnisse, umgesetzt in technische Geräte und Verfahren ermöglichen uns heute ein Leben in Wohlstand und relativer Sicherheit, von dem frühere Generationen nicht zu träumen gewagt hätten.

Wozu brauchen Menschen, die die Welt so gut verstehen und beherrschen dann eigentlich noch Gott?

Wer sich damit zufrieden gibt, die Welt nur naturwissenschaftlich zu erklären, lebt weit unter seinen Möglichkeiten. Die Naturwissenschaften beschreiben mit atemberaubender Präzision, wie die Prozesse der Natur ablaufen - nicht mehr und nicht weniger. Die einzige Frage, die ein Naturwissenschaftler ehrlicherweise beantworten kann, ist die nach dem Wie.

Aber was ist mit den anderen Fragen, zum Beispiel nach dem Sinn oder Ziel des Lebens? Die Fragen nach Gut und Böse, nach Schuld und Versöhnung, nach Hass oder Liebe, sind naturwissenschaftlich nicht zu beantworten. Aber sind sie deshalb weniger real?

Genau um solche Fragen geht es im christlichen Glauben. Kern dieses Glaubens ist die lebendige Beziehung zwischen Mensch und Gott, für die Gott den Menschen eigentlich geschaffen hat. Der Gott, an den wir glauben, ist kein Joker, den man aus dem Ärmel zieht, wenn man wissenschaftlich nicht weiter weiß.

Unser Leben hat verschiedene Dimensionen, so wie ein Möbelstück Länge, Breite und Höhe hat. Die Naturwissenschaften beschreiben eine dieser Dimensionen. Der christliche Glaube eröffnet uns den Zugang zu einer anderen Dimension des Lebens. Glaube und Wissenschaft sind also keine konkurrierenden Erklärungsmodelle für dieselben Dinge. Beide sind nötig, um die Welt, in der wir leben, zumindest ansatzweise zu verstehen. Man könnte daher sagen: Wer glaubt, weiß mehr.

Wer mit wachem Verstand und offenem Herzen durchs Leben geht, kann dann vielleicht mit dem Psalmisten sagen: »Groß sind die Werke des Herrn. Wer sie erforscht, hat Freude daran.« Und »Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang. Klug sind alle, die danach tun« (Psalm 111).

-pv-