Der Apostelbrief

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Von Sternen und Menschenrechten

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Es ist mal wieder so weit: In ganz Europa strahlen die Festbeleuchtungen auf den Weihnachtsmärkten und in den Einkaufsstraßen. Der Einzelhandel setzt auch in diesem Jahr seine ganze Hoffnung auf das Weihnachtsgeschäft, das die ansonsten trostlosen Bilanzen etwas aufpeppen soll. Engel, Sterne, Hirten und Krippen, wohin man blickt.

Aber Vorsicht: Ein Weihnachtsstern am Rathaus könnte eine Menschenrechtsverletzung darstellen – meint zumindest der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Der hat vor kurzem in einem Urteil festgestellt, dass religiöse Symbole, wie zum Beispiel Kruzifixe, in öffentlichen Schulen die Menschenrechte der Schülerinnen und Schüler verletzen, die keine Christen sind. Wenn eine staatliche Institution die christliche Religion vor allen anderen Weltanschauungen hervorhebe, würden die Eltern in ihrer Freiheit eingeschränkt, ihre Kinder im Sinne anderer Religionen oder philosophischer Grundüberzeugungen zu erziehen. In Bayern weckt diese Diskussion natürlich Erinnerungen an das Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vor einigen Jahren.

Die Religionsfreiheit ist einer der wertvollsten Grundsätze moderner Gesellschaften. Christen können gar nicht dankbar genug dafür sein, dass dieses Menschenrecht in Europa garantiert wird, wenn man einen Blick in die Türkei, in arabische Länder, oder nach Nord-Korea wirft. Dass heute bei uns »jeder Mensch nach seiner Facon selig werden kann«, ist eine der großen Errungenschaften der europäischen Aufklärung.

Ursprünglich bedeutet Religionsfreiheit die Freiheit der Religionsausübung, dass also jeder Mensch der Religion seiner Wahl anhängen oder auch ganz darauf verzichten kann. Inzwischen wird darunter aber zunehmend die Freiheit von jeglicher Religionsausübung verstanden. Der Staat soll zur religionsfreien Zone werden.

Religionsfreiheit im ursprünglichen Sinn erfordert Toleranz bei allen Beteiligten. Das Wort Toleranz kommt vom lateinischen Wort für »tragen« oder »ertragen«. Es bedeutet also, dass ich die Überzeugungen eines anderen Menschen gelten lasse, selbst wenn ich diese für kompletten Unsinn halte. Es bedeutet, die Meinung des anderen zu respektieren, ohne dass man sie deshalb für richtig halten muss. Toleranz heißt also letztlich, dass ich meinen Mitmenschen – und mir selber – das Recht auf Irrtum einräume.

Das ist natürlich ungleich schwerer als die problematischen Fragen menschlicher Existenz einfach zur Privatsache zu erklären und die öffentliche Auseinandersetzung darüber zu unterbinden. Freiheit von jeglicher Religion eben.

Ohne Rückgriff auf die jüdisch-christliche Tradition ist Europa allerdings kaum zu verstehen. Die hohe Bedeutung, die dem Einzelnen und seiner Freiheit in den europäischen Rechtssystemen beigemessen wird, der Begriff der Menschenwürde, der ganz am Anfang unseres Grundgesetzes steht, aber auch der alljährliche Weihnachtsrummel sind ohne den Blick auf diese Tradition nur mühsam nachvollziehbar.

Dass sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte noch nicht mit der Weihnachtsbeleuchtung in unseren Innenstädten beschäftigt hat, hat vermutlich damit zu tun, dass kaum noch ein Mensch weiß, dass Leuchtreklame, Jahresendflügelfiguren und frühwinterlicher Kaufrausch etwas mit christlichem Glauben zu tun haben.

Eigentlich schade.

-pv-