Der Apostelbrief

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E 10:
Welche Auswirkungen hat der neue Kraftstoff für die Welternährung?

»Tank oder Teller«, »Lieber wir mobil als andere satt«, »Agrokraftstoffe gefährden die Ernährung«, »Lebensmittel oder Treibstoff«, »Geht die Herstellung von E 10 zu Lasten der Welternährung?« – mit diesen Überschriften wird derzeit die Diskussion nach der Einführung des E10-Biokraftstoffes zum Themenkomplex Nahrungsmittel und Anbau von Pflanzen zur Bioenergiegewinnung geführt.

E10 oder Brot

E 10 ist ein Autokraftstoff, der einen Anteil von 10% Bioethanol enthält. Dieser wurde dieses Jahr in Deutschland aufgrund einer EU-Biokraftstoffrichtlinie eingeführt, um den fossilen Rohstoffverbrauch und damit CO2-Emissionen zu reduzieren, da in der EU eine Senkung des Gesamt-CO2-Ausstoßes um 20% bis 2020 erfolgen soll. Bioethanol wird etwa zu 42% aus Getreide, zu 35% aus Zuckerrohr und zu 21% aus Rüben hergestellt, Biodiesel zu 79% aus Raps, 10% aus Soja, 5% aus Palmöl und 6% aus Abfall. Während auf der politischen Ebene verstärkt die möglichen Schäden für Automotoren und die Probleme bei der Einführung dieses Kraftstoffes diskutiert werden, rücken auf der gesellschaftlichen und kirchlichen Ebene die Folgen für die Welternährung und die Umwelt in den Vordergrund.

»Brot für die Welt« warnt davor, dass die hohen europäischen Agrokraftstoffquoten den Welthandel mit Biomassederart stark anheizen, dass aufgrund der Flächenkonkurrenz zum Anbau von Nahrungsmitteln die Ernährungsgrundlagen in den armen Ländern gefährdet werden. So wird in Brasilien derzeit auf mehr als neun Millionen Hektar Anbaufläche insbesondere Zuckerrohr zur Ethanolgewinnung angebaut, während die Anbaufläche für Nahrungsmittel schrumpft und gleichzeitig der Regenwald weiter gerodet wird. Auch in Afrika und Asien entstehen zunehmend Monokulturen durch den Anbau für Sojabohnen und Ölpalmen für Biodiesel. Diese Flächenkonkurrenz gefährdet die Ernährungssicherheit in diesen Ländern.

Verstärkt wird diese Situation hinsichtlich der daraus resultierenden zunehmenden Knappheit der Grundnahrungsmittel durch die weltweite starke Erhöhung des Getreidepreises, was wiederum unmittelbare Auswirkung auf die Versorgung der armen Länder der Welt und deren Ernährung hat. Nach Angaben der Welthungerhilfe leiden derzeit bereits über 900 Millionen Menschen an Hunger. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz weist zwar darauf hin, dass die Weltbevölkerung in den nächsten vier Jahrzehnten auf 9 Milliarden Menschen anwachsen wird, weshalb die Agrarproduktion insbesondere in den Schwellenändern um 70% gesteigert werden muss und dies unter Beachtung von standortangepassten und nachhaltigen Bewirtschaftungsformen. Übersehen werden hierbei jedoch die Einflüsse der politischen Lagen, zunehmender Witterungseinflüsse und die Preisschwankungen aufgrund von Spekulationen mit Grundnahrungsmitteln.

Das europäische Institut für Umweltpolitik in London (IEEP) stellt den Sinn von Biosprit in Frage, da in den nächsten zehn Jahren weltweit die doppelte Fläche von Belgien kultiviert werden müsste, um den Bedarf an »Rohstoffen« zu decken. Allein dadurch würden zusätzlich 56 Millionen Tonnen CO2 erzeugt, was deutlich mehr wäre, als das Tanken von Biosprit einsparen würde.

Nach Angaben von Greenpeace wurden im Jahr 2010 142 Millionen Tonnen Getreide global für Biosprit verbraucht, mit der man 420 Millionen Menschen ein Jahr hätte ernähren können. Mit jeder 50-Liter-Tankfüllung laufen etwa 15 Kilogramm Getreide in den Tank, mit der man sonst 18 Kilo Brot herstellen könnte. Der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung warnt davor, dass allein durch den Anbau von Getreide zur Energiegewinnung in den kommenden Jahren eine Milliarde Menschen an Hunger sterben könnten.

Für Europa bedeutet die Einführung des Bio-Kraftstoffes E10 nach Angaben der Ernährungsindustrie natürlich keine Bedrohung für die Ernährung, sondern lediglich eine deutliche Erhöhung aller Lebensmittelpreise, da nicht nur das Bäckerhandwerk und die Bierbrauer betroffen wären, sondern auch die Produzenten von Milch- und Fleischprodukten auf Futtermittel aus der Landwirtschaft angewiesen sind. Für ein hoch entwickeltes Land wie Deutschland stellt diese Entwicklung nach Angabe des deutschen Bauernverbandes jedoch kein Problem dar.

Wie steht die Kirche dazu?

Der Agrarbeauftragte der EKD sieht die Probleme weniger bei der Nutzung heimischer Ackerflächen, jedoch beim Import von Biorohstoffen aus Entwicklungsländern, insbesondere dann, wenn in diesen Ländern zusätzlich Wälder gerodet werden müssen und andere Flächen der Nahrungsmittelproduktion verloren gehen. Entscheidend sei, dass man maßvoll vorgehe. Er hält es aus christlicher Sicht durchaus für legitim, Nahrungsmittelpflanzen auch für die Energiegewinnung zu nutzen, da schon Martin Luther betont hatte, dass sich die Bitte »Unser täglich Brot gib uns heute« im Vaterunser nicht nur auf Nahrung, sondern auf alle Bedürfnisse des menschlichen Lebens beziehe. So pflanze man schon lange Hafer als Futter für die Zugtiere an, also als Energieträger für den Transport. Die Kammer der EKD für nachhaltige Entwicklung allerdings spricht sich dafür aus, Pflanzen nicht vorrangig zur Energiegewinnung zu nutzen, sondern primär die weltweite Ernährung sicherzustellen.

-HS-