Der Apostelbrief

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Gibt es eine typisch katholische Frömmigkeit?

Fragen an den Pfarrer unserer Nachbargemeinde St. Nikolaus

Pfarrer Dr. Steinert

Apostelbrief: In Wikipedia wird Frömmigkeit als eine respektvolle Haltung im Sinne einer Ehrfurcht vor unlösbaren Rätseln meistens verbunden mit einem religiös eingeübten Verhalten und dieses oftmals in einer Gesinnung zu einem Gott definiert. Können Sie sich dieser Definition prinzipiell anschließen? Oder wie würden Sie diese – lieber Herr Pfarrer Steinert – für sich persönlich modifizieren?

Pfr. Dr. Steinert: Mir ist wichtig, zu unterscheiden zwischen Rätsel und Geheimnis. Ein Rätsel ist irgendwann lösbar. Schaffen es 99 kluge Köpfe nicht, so kommt ein Hundertster, der das Rätsel knacken kann. Ein Geheimnis jedoch muss man aushalten. Man muss es stehen lassen. Man kann es verehren und feiern. Es kann der Mittelpunkt meines Lebens sein, von dem alles ausgeht und auf das alles hinströmt.

So ist Gott für mich das Geheimnis meines Lebens, ja das Geheimnis allen Seins. Frömmigkeit oder Spiritualität bedeutet da für mich die Pflege einer Haltung und eines Lebensstils, in dem ich aus diesem Geheimnis lebe.

Apostelbrief: Besonders würde mich interessieren, ob es generell oder für Sie persönlich eine typisch katholische Frömmigkeit gibt? Gibt es verschiedene Formen der katholischen Frömmigkeit?

Pfr. Dr. Steinert: Das typisch Katholische ist, dass es zahllose verschiedene Formen der Frömmigkeit in unserer Kirche gibt.

Sehr bekannt ist das Rosenkranz-Gebet, das seit etwa 1000 Jahren geübt wird oder die eucharistische Anbetung, die etwa seit dem 16. Jahrhundert in unserer Kirche gebräuchlich ist.

Vor etwa 100 bis 150 Jahren hat die Herz-Jesu-Frömmigkeit, die es schon einige Zeit in unserer Kirche gab, an Bedeutung zugenommen.

Das Stundengebet, auch Tagzeitenliturgie genannt, also Laudes und Vesper, gehört zu den ältesten Gebetsformen der Kirche überhaupt. Es hat seine Wurzeln im Judentum und hat sich im 4. Jahrhundert fest etabliert.

In der neueren Zeit haben sich auch ganz neue Frömmigkeitsformen in unserer Kirche entwickelt. Da haben wir von der evangelischen Kirche manche Impulse bekommen. Ich meine zum Beispiel das gemeinschaftliche Lesen der Heiligen Schrift sowie auch charismatisches freies Beten in der Gruppe.

Typisch katholische Frömmigkeitsformen sind außerdem Wallfahrten und Prozessionen zu besonderen Orten, Andachten sowie auch die Verehrung von Heiligen. Außerdem werden in verschiedenen Ordensgemeinschaften noch einmal eigene spirituelle Formen gepflegt, wie zum Beispiel die kontemplative Stille und viele mehr, die hier nicht alle genannt werden können.

Apostelbrief: Wie erleben Sie in Gesprächen mit Christen aus Ihrer eigenen Gemeinde den Umgang mit deren Frömmigkeit?

Pfr. Dr. Steinert: Ich merke, dass den Älteren in unserer Gemeinde Frömmigkeitsformen wie Rosenkranz, ewige Anbetung, Prozessionen, Bitt- und Dank-Andachten neben der Eucharistiefeier als Höhepunkt sehr wichtig sind.

Pfarrer Dr. Steinert

Jüngere können mit diesen traditionellen Formen oft nicht mehr viel anfangen. Ich erlebe da einen Wandel vom Volkskirchentum zum Entscheidungs-Christentum. Von daher gibt es nicht wenige Christen in unserer Gemeinde, die Ausschau halten nach neuen Formen, für deren Entwicklung teilweise viel Engagement und Kreativität aufgebracht wird.

So sind zum Beispiel erst in den letzten zwei Jahren aus Glaubenskursen heraus zwei neue Bibelkreise in unserer Gemeinde entstanden. Da trifft man sich einmal im Monat zu gemeinsamem Gebet und Lesen in der Heiligen Schrift. Das Gespräch und die Gruppenerfahrung sind den Beteiligten dabei sehr wichtig.

Aus Erzählungen weiß ich, dass in so manchen Familien mit kleinen Kindern durchaus auch mit den Kindern gebetet wird und Geschichten aus der Bibel vorgetragen werden. Man spürt in solchen Familien, wie wichtig es den Eltern ist, den Glauben an die nächste Generation weiter zu geben. Von daher gibt es auch ein erkennbares Interesse an Kinder- und Familien-Gottesdiensten, die Ehrenamtliche in unserer Gemeinde vorbereiten.

Jugendgottesdienste, von Jugendlichen für Jugendliche vorbereitet, entwickelten in den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts eine starke Vitalität. Davon ist heute kaum noch etwas zu spüren und wir müssen auch an diesem Punkt nach neuen Formen suchen.

Apostelbrief: Abschließend darf ich Sie fragen, wie Sie in Ihrem eigenen Leben Frömmigkeit (er-)leben?

Pfr. Dr. Steinert: Tägliches Stundengebet, das hauptsächlich aus Psalmen besteht, sowie die häufige Feier der Heiligen Messe gehören für mich zum Grundbestand der Pflege meiner Christus-Beziehung.

Darüber hinaus bin ich seit 30 Jahren Mitglied der Priestergemeinschaft »Jesus Caritas« von Charles de Foucauld. In einer kleinen Gruppe von 5 Priestern treffen wir uns da einmal im Monat zu eucharistischer Anbetung und zur Lebensbetrachtung, bei der wir versuchen, uns gegenseitig in unserem Leben und Wirken zu unterstützen.

In dieser Gemeinschaft ist die Anbetung vor dem in der Eucharistie gegenwärtigen Herrn von allen barocken Äußerlichkeiten befreit. Die Anbetung geschieht bei uns fast ausschließlich in Stille und in großer Einfachheit.

Das passt zu dem Anliegen Charles de Foucaulds, Christus in bedürftigen Menschen zu suchen. Dazu werden wir in unserer Gemeinschaft stets angehalten. Darin sehe ich neben dem Lob Gottes selbst den tiefsten Sinn jeder Form gelebter Spiritualität.

Apostelbrief: Vielen Dank für dieses Gespräch!

Das Gespräch mit Pfr. Dr. Steinert führte unser Redaktionsmitglied Dr. H. Stark.