Der Apostelbrief

Dezember 2012 - Januar 2013
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Was bleibt?

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Ein Maschinenbau-Student kommt in die Sprechstunde zu einem Professor, weil er auf der Suche nach einer Abschlussarbeit ist. »Haben Sie schon mal gekellnert?«, fragt ihn der Professor. »Ja, zwei Jahre im blauen Krokodil«, antwortet der etwas verunsicherte Student. »Gut«, freut sich der Professor, »dann können Sie wenigstens Kopfrechnen«.

Wozu Kopfrechnen, wird sich so mancher und manche fragen. Es gibt doch Taschenrechner, die einem die Lösung der kniffligsten mathematischen Probleme auf Knopfdruck liefert. Wozu soll ich mir merken, wie lange der dreißigjährige Krieg gedauert hat? Wenn ich das wissen will, google ich das. Wozu soll ich Gedichte auswendig lernen? Mein ebook-Reader hat die kompletten deutschen Klassiker drauf.

Im Vergleich zu früher ist das Auswendiglernen extrem unpopulär geworden. Vergleicht man, welche Texte Konfirmandinnen und Konfirmanden heute auswendig lernen müssen, mit dem Pensum früherer Generationen, ist das verschwindend wenig. Von einer Prüfung des Gelernten im Konfirmationsgottesdienst ganz zu schweigen.

In vielen Fällen ist die Notwendigkeit, Texte und Zahlen zu memorieren, ja auch nicht mehr gegeben. Viele Informationen sind durch Medien und Internet jederzeit und an jedem Ort verfügbar – wenn nicht gerade der Akku des Smartphones leer ist.

Die Pflegekräfte in Alten- und Pflegeheimen machen häufig die Erfahrung, dass Menschen, die hoch dement sind und eigentlich gar nichts mehr von ihrer Umgebung mitbekommen zu scheinen, auf Texte und Lieder reagieren, die sie in ihrer Jugend auswendig gelernt haben. Die Patientinnen und Patienten sind fast vollständig von der Außenwelt isoliert. Aber sie haben einen Schatz von Texten und Melodien, der ihnen offenbar auch in der Krankheit bleibt. Sie können nicht mehr lesen oder im Internet recherchieren. Was sie einmal gelernt haben, ist alles, was ihnen geblieben ist.

Es gibt natürlich auch weniger dramatische Gründe, warum man gerade keinen Computer oder kein Buch nutzen kann. In den unterschiedlichsten Lebenssituationen profitiert man von dem, was man einmal gelernt hat. Deshalb ist es eine gute Investition, Texte und Lieder auswendig zu lernen, die in kritischen Situationen tragen: Psalmen, Choräle, neue geistliche Lieder oder Gedichte. Im Advent zum Beispiel diese Verse von Jochen Klepper: »Noch manche Nacht wird fallen, auf Menschenleid und –schuld. Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld. Beglänzt von seinem Lichte, hält euch kein Dunkel mehr. Von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her.«

Das sollte man sich merken.

-pv-