Der Apostelbrief

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Tief berührt

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Am Himmelfahrtswochenende fand in Bremen das Christival statt, ein christlicher Kongress für junge Menschen. Bereits viermal fand dieses Großereignis in den letzten 32 Jahren statt, weitgehend unbeachtet von der breiten Öffentlichkeit. Das war dieses Mal anders.

Es waren zwei Workshops, die ein intensives Rauschen im medialen Blätterwald verursachten, einer zum Thema Homosexualität und einer zum Thema Abtreibung.

Völlig unabhängig davon, wie man inhaltlich zu diesen Themen steht: offenbar wurde hier ein sehr empfindlicher Nerv unserer Gesellschaft getroffen. Einerseits reagierten diejenigen mit großer Heftigkeit, die ihre Lebensentwürfe durch die Christival-Workshops in Frage gestellt sahen, so dass einige Veranstaltungen des Christival nur unter Polizeischutz stattfinden konnten. Und andererseits sahen sich die Veranstalter des Christival und mit ihnen viele Christinnen und Christen im Lande damit konfrontiert, dass Themen des Glaubens solch heftige Reaktionen auslösen können.

Wir haben uns daran gewöhnt, dass Christentum und Kirchen in Deutschland weitgehend unbehelligt aber auch weitgehend unbeachtet von der säkularen Öffentlichkeit agieren können. Religion wird als Privatsache angesehen, die - wenn sie nicht übertrieben wird - gesellschaftlich stabilisierend wirken kann.

Dabei ist völlig aus dem Blickfeld verschwunden, welche gesellschaftliche und politische Sprengkraft die Botschaft des Evangeliums enthält. Die Bibel hat zu vielen Fragen unserer Zeit etwas zu sagen: so zur Frage nach der sozialen Gerechtigkeit, zum Verhältnis der Generationen, oder zum Umgang mit der Schöpfung in der und von der wir alle leben.

Wie schön lässt sich über diese Fragen bei einer Tasse fair gehandeltem Kaffee und einem Stück Kuchen aus gentechnikfreiem Dinkelmehl philosophieren. Kritisch wird es, wenn man den biblischen Standpunkt zu solchen Themen in den gesellschaftlichen oder politischen Diskurs einbringen möchte. Dann kosten Ideale nämlich plötzlich etwas - und wenn es nur bedeutet, sein bisheriges Leben kritisch hinterfragen zu lassen.

Das Recht, seine Meinung frei und ungehindert äußern zu dürfen, ist eine große Errungenschaft der Demokratie. Diese Freiheit findet heute da ihre Grenzen, wo ein Standpunkt dem allgemeinen Grundsatz des »anything goes« - erlaubt ist was gefällt - widerspricht.

Der postmoderne Mitteleuropäer möchte nicht mehr daran erinnert werden, dass es einen Gott geben könnte, dem gegenüber er sich verantworten muss oder dass es Normen und Werte gibt, die man nicht einfach über Bord werfen kann, wenn sie zu teuer werden. Erst in der jüngsten Zeit, in der die Grenzen der Möglichkeiten staatlicher Fürsorge erkennbar werden, steht das Thema der gesellschaftlichen Verantwortung der und des Einzelnen wieder auf der Tagesordnung.

Welche Chance bietet sich hier für Christinnen und Christen! Denn das Evangelium hält allerhand Hilfestellung für die Gestaltung einer gerechten und solidarischen Gesellschaft bereit. Aber das wissen viele Menschen in unserem Lande nicht mehr, weil sie nur noch die Comic-Version des christlichen Glaubens mit Weihnachtsmann und Osterhase kennen. Deshalb muss man es ihnen wieder erzählen. Und man muss es ihnen vorleben, auch wenn das unbequem und teuer ist. Sonst hört einem nämlich keiner zu.

-pv-