Der Apostelbrief

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Das Verhältnis von Christen und Juden

Diskussion zur geplanten Erweiterung der Präambel der Kirchenverfassung
1 KVerf
Kirchenverfassung

Grundartikel

Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern lebt in der Gemeinschaft der einen, heiligen, allgemeinen und apostolischen Kirche aus dem Worte Gottes, das in Jesus Christus Mensch geworden ist und in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testamentes bezeugt wird.

Mit den christlichen Kirchen in der Welt bekennt sie ihren Glauben an den Dreieinigen Gott in den altkirchlichen Glaubensbekenntnissen. Sie hält sich in Lehre und Leben an das evangelisch-lutherische Bekenntnis, wie es insbesondere in der Augsburgischen Konfession von 1530 und im Kleinen Katechismus D. Martin Luthers ausgesprochen ist, und das die Rechtfertigung des sündigen Menschen durch den Glauben um Christi willen als die Mitte des Evangeliums bezeugt.

Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern steht mit der ganzen Christenheit unter dem Auftrag, Gottes Heil in Jesus Christus in der Welt zu bezeugen. Diesem Auftrag haben auch ihr Recht und ihre Ordnungen zu dienen.

Die Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB) hat am 25. März 2010 in Weiden mit überwältigender Mehrheit einer Ergänzung des Grundartikels Präambel) der Kirchenverfassung der ELKB vorläufig zugestimmt.

Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern lebt in der Gemeinschaft der einen, heiligen, allgemeinen und apostolischen Kirche aus dem Worte Gottes, das in Jesus Christus Mensch geworden ist und in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments bezeugt wird. So beginnt die Verfassung der ELKB. In einem zweiten und neuen Satz soll nun eine Aussage über das Verhältnis der Kirche zum jüdischen Volk erfolgen. Nach langer Beratung haben sich Mitglieder verschiedener Ausschüsse der Landessynode, des Landeskirchenrates und der Verein zur Förderung des christlich-jüdischen Gespräches in der ELKB e.V. auf eine Formulierung geeinigt, die in der Folge auch von Landeskirchenrat, Landesbischof und Landessynodalausschuss bestätigt wurde. Diese lautet: Mit der ganzen Kirche Jesu Christi ist sie aus der tragenden Wurzel des biblischen Israels hervorgegangen, sie bezeugt mit der Heiligen Schrift die bleibende Erwählung des Volkes Israels und weiß sich dem jüdischen Volk geschwisterlich verbunden.

Mit einem Schreiben der Synodalpräsidentin Dr. Deneke-Stoll und des Landesbischofs Dr. Friedrich vom Juni 2010 an alle Kirchengemeinden, Dekanate, Einrichtungen und Ausbildungsstätten der ELKB wurde dieses Vorhaben vorgestellt, entsprechende Erläuterungen beigefügt und um Stellungnahmen gebeten.

Prinzipiell soll durch die Ergänzung des Grundartikels ausgedrückt werden, dass das Verhältnis von Christen und Juden grundlegend ist für die Gestaltung des kirchlichen Lebens, für die Theologie und für die Beziehung zu und die Begegnungen mit Juden und ihren offiziellen Repräsentanten. Maßgeblich für Lehre und Predigt sind die von Paulus in Römer 9–11 entfalteten theologischen Grundlegungen. Mit der Formulierung »tragende Wurzel des biblischen Israels« soll festgehalten werden, dass jüdischer und christlicher Glaube aus einer gemeinsamen biblischen Wurzel leben. Nach Paulus (11,16-18) sollen wir uns nicht über das jüdische Volk erheben und uns dessen eingedenk sein, dass wir selbst hinzugekommen sind zu Israel und dem Heil, das Gott seinem Volk verheißen hat. Die Formulierung »bleibende Erwählung des Volkes Israel« findet sich auch in Römer 11, 1-2 und 29 wieder, woraus eindeutig hervorgeht, dass Gott unabänderlich an seinem Bund mit Israel festhalten wird. Eine weitere und insbesondere für Christen schönste und tröstliche Bestätigung findet sich auch beim Propheten Jesaja (Jes. 54,10).

Im dritten Teilsatz »weiß sich dem jüdischen Volk geschwisterlich verbunden« soll der besondere Charakter der Beziehung der christlichen Kirche zum jüdischen Volk benannt werden. Indem wir Christen uns wie das jüdische Volk als »Kinder« des einen Gottes verstehen, des Gottes Israel, den wir als Vater Jesu Christ verehren, sind wir zu »Geschwistern im Glauben« geworden. Der Begriff »Geschwister« soll jedoch nicht die Differenzen zwischen Juden und Christen aufheben oder leugnen. Doch kann er uns an unsere vielfältigen Gemeinsamkeiten im Glauben und dem Verhältnis zur Welt gemahnen, insbesondere auch an die unter Geschwistern geltende besondere Solidarität und Liebe.

Im Folgenden sollen nun einige Aspekte der sich bisher entwickelten intensiven und durchaus auch kontroversen Diskussion wiedergegeben werden.

Eine grundsätzliche und häufig zitierte Stellungnahme wurde vom Dekan Dr. Brandt aus Weißenburg verfasst. In dieser wird vorbehaltlos das Anliegen unterstützt, sich von der antijüdischen Auslegungstradition abzuwenden. Auch sollten die Kirchen nach dem Holocaust ihr Verhältnisses zu Israel neu bedenken. Prinzipiell hält er es nicht für günstig, den »Israel-Artikel« in der geplanten Formulierung im Grundartikel der Kirchenverfassung zu verankern. Zunächst stellt er die Frage, ob denn jede Kirche ihr Anliegen extra formulieren muss oder ob ein gemeinsamer Vorschlag der lutherischen Kirche in der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD)sorgsam entwickelt werden sollte.

Bisher haben 13 Landeskirchen ihre Kirchenordnungen/-verfassungen um Passagen erweitert, die das Verhältnis von Christen und Juden betreffen, wobei die Aussagen in ihrer theologischen Klarheit und inhaltlichen Ausführlichkeit sehr unterschiedlich sind. Dekan Brandt vermisst eine professionelle Absicherung der bayerischen Formulierung durch den theologischen Ausschuss der VELKD oder einer theologischen Fakultät. Er führt weiterhin an, dass der Einschub des Israel-Artikels aufgrund seines deklatorischen (feststellenden) Charakters als Fremdkörper wirkt, da die Absätze zu Schrift und Bekenntnis im Grundartikel vor und danach eindeutig konfessorischen bekennenden) Charakter haben. Inhaltlich ist bezüglich der tragenden Wurzel und der bleibenden Erwählung Israels nichts zu kritisieren. Auffällig ist das hermeneutische Problem (Interpretationsproblem) in der Formulierung »die Kirche bezeuge dies mit der Heiligen Schrift«, da es hier explizit nicht »mit der ganzen Heiligen Schrift« heißt. In dieser gibt es über Israel viel zu unterschiedliche Aussagen, sodass letztere Formulierung gar nicht möglich wäre. Kritisch wird angemerkt, dass der Grundsatz lutherischer Hermeneutik – das Vertrauen der Kirche auf die selbsterschließende Kraft des Evangeliums – nicht mehr beachtet wird, da nun ein Interpretationsmaßstab aufgrund der Inhalte von Römer 11 festgelegt werden soll.

Aus dem allen ergibt sich, dass der Israel-Artikel eigentlich nicht erforderlich wäre, da wir als evangelische Christen Bezug auf das alte und neue Testament nehmen, woraus sich die Aussagen der geplanten Ergänzung des Grundartikels automatisch ergeben würden. Als problematisch wird auch der Begriff der »Geschwisterlichkeit« gesehen, da sich hier die Frage stellt, ob die andere Seite – die der Juden – nicht mehr vereinnahmt wird, als es vielleicht von deren Seite gewünscht ist. Und schließlich steht die Frage im Raum, ob diese Verfassungsnovelle auch den Vertretern der jüdischen Kultusgemeinden in Bayern vorgelegt wurde.

Die Diskussion bei uns ergab eine breite Übereinstimmung mit den Argumenten von Dekan Dr. Brandt, sodass sich der Kirchenvorstand der Apostelgemeinde Gerbrunn gegen eine Aufnahme des Israel-Artikels in die Präambel der Kirchenverfassung aussprach.

Weitere Informationen zu diesem derzeit in der ELKB intensiv diskutierten Thema sind auf der Internetseite der Landeskirche (www.elkb.de) oder des Vereines zur Förderung des christlich-jüdischen Gespräches in der ELKB (www.bcj.de) zu entnehmen.

-HS-