Der Apostelbrief

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Vom Wert des Lebens

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Was ist ein Menschenleben wert? In den letzten Wochen haben wir immer wieder gehört, dass die Einschränkungen, die wir alle hinnehmen mussten und müssen, dazu dienen sollen, Infektionen mit dem Corona-Virus zu vermeiden und so Menschenleben zu retten. Wer könnte dagegen etwas sagen?

Am Anfang der Corona-Pandemie wurde diskutiert, die Infektion nicht aufzuhalten, damit möglichst schnell möglichst viele Menschen eine Immunität gegen das SARS-CoV 2 Virus entwickeln könnten. Von „Herdenimmunität“ war die Rede. Dagegen spricht, dass ein solch massives Ansteigen der Infektionszahlen zu einer Überforderung des Gesundheitswesens und damit zu vermeidbaren Todesfällen führen würde.

Die Zahlen scheinen den eingeschlagenen Weg zu bestätigen. In Deutschland ist die Zahl der Infektionen und vor allem die Zahl der schweren Verläufe von COVID-19 so niedrig geblieben, dass unser Gesundheitssystem bisher gut damit zurechtgekommen ist.

Aber zu welchem Preis? Alte Menschen, die in Pflegeeinrichtungen leben, konnten seit Wochen nicht mehr von ihren Angehörigen besucht werden. Schwerkranke und Sterbende konnten nicht von Seelsorgerinnen und Seelsorgern begleitet werden. Viele Selbständige, aber auch viele Angestellte machen sich Sorgen über ihre Zukunft, weil absehbar ist, dass die aktuelle Krise ihre wirtschaftliche Existenz massiv gefährdet.

Der grüne Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, hat Aufsehen erregt, weil er forderte, die Beschränkungen nach Alter zu staffeln und dabei äußerte, dass man heute Menschen retten würde, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.

Geht das? Das Leben der Alten gegen das Leben der Jungen abzuwägen? Wie viele Arbeitsplätze ist ein Menschenleben wert, das man durch den Shutdown retten konnte?

In Psalm 139 lesen wir, dass Gott jeden von uns individuell im Auge hat – „Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es“ (Ps 139,2). Jede und jeder einzelne von uns ist ein unverwechselbares Geschöpf Gottes – „Denn du hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe“ (Psalm 139,13). Wenn das so ist, dann verbietet sich die Diskussion um den ökonomischen Wert eines Menschenlebens von selbst. Diese Erkenntnis hat auch die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes dazu bewogen, in Artikel 1 zu formulieren: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Deshalb war es richtig, den Corona-Infektionen Einhalt zu gebieten und so unnötige Todesopfer zu vermeiden. Niemand hat behauptet, dass die Abwägung zwischen dem Infektionsschutz einerseits und den dafür notwendigen Einschränkungen unserer Grundrechte und wirtschaftlichen Zumutungen andererseits einfach wäre. Und es wird noch viel Zeit und Gehirnschmalz notwendig sein, um diese Frage vernünftig zu beantworten. Aber das muss es uns wert sein.

-pv-